Whistleblower: Das Gesetz zum Schutz von hinweisgebenden Personen im Überblick
Nach längeren Verzögerungen wird das neue Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) aller Voraussicht nach Mitte Juni 2023 in Kraft treten. Das Gesetz dient der Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2019 zum verbesserten Schutz von Hinweisgebern („Whisteblowern“). Der Inhalt des kommenden Gesetzes und dessen Bedeutung für die Praxis soll im nachfolgenden Beitrag näher beleuchtet werden.
Einrichtung von Meldestellen
Unternehmen mit in der Regel mindestens 50 Beschäftigten sowie Unternehmen besonders sensibler Branchen (u.a. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Börsenträger, Kredit- oder Wertpapierinstitute, Versicherungsunternehmen) sind nach dem HinSchG zur Errichtung einer internen Meldestelle verpflichtet. Bei Konzerngesellschaften kann eine gemeinsame Meldestelle, beispielsweise bei der Konzernmutter, eingerichtet werden. Die interne Meldestelle kann durch eigene Arbeitnehmende oder durch Dritte betrieben werden. Es ist jedoch sicherzustellen, dass diese unabhängig agieren und über die erforderliche Fachkunde verfügen. Sind im Unternehmen 50 bis 249 Beschäftigte tätig, so gilt eine verlängerte Frist zur Einrichtung einer internen Meldestelle. Hiernach bleibt bis zum 17. Dezember 2023 Zeit zur Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben. Bei Unternehmen mit in der Regel mindestens 250 Beschäftigten hat die Umsetzung dagegen bereits mit Inkrafttreten des Gesetzes zu erfolgen.
Ferner werden auf Grundlage des HinSchG externe Meldestellen eingerichtet. So wird es eine allgemeine externe Meldestelle beim Bundesamt für Justiz geben und Meldestellen mit Sonderzuständigkeiten etwa bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und dem Bundeskartellamt. Weiterhin können (und werden) die Bundesländer eigene Meldestellen einrichten.
Zwar besteht für hinweisgebende Personen grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen der internen und einer externen Meldestelle. Jedoch soll in Fällen, in denen wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und keine Repressalien zu befürchten sind, die Meldung an eine interne Meldestelle bevorzugt werden. Es bleibt der hinweisgebenden Person aber unbenommen, sich an eine externe Meldestelle zu wenden, wenn einem intern gemeldeten Verstoß nicht abgeholfen wurde.
Verfahren bei Meldungen
Bei der internen Meldestelle ist ein Meldekanal einzurichten, über den Meldungen abgegeben werden können. Dieser muss den eigenen und auch entliehenen Arbeitnehmenden offenstehen. Ferner kann der Meldekanal auch anderen mit dem Unternehmen in beruflichem Kontakt stehenden Personen zugänglich gemacht werden.
Es besteht nach dem HinSchG keine Pflicht zur Einrichtung von Meldekanälen, welche die anonyme Kontaktaufnahme und Kommunikation zwischen hinweisgebender Person und interner Meldestelle ermöglichen. Dies perpetuiert zwar das traditionelle deutsche Misstrauen gegen anonyme Hinweise, beugt jedoch gleichzeitig dem mit anonymen Hinweisen einhergehenden Missbrauchspotential und Schwierigkeiten bei der technischen Umsetzung vor.
Für die Abgabe von Meldungen bestehen keine strengen Formvorgaben. Es genügt, dass Meldungen entweder mündlich oder in Textform erfolgen können, solange bei dem gewählten Übertragungsweg die Vertraulichkeit der Identität der von der Meldung betroffenen Personen gewahrt ist. Mündliche Meldungen müssen aber per Telefon oder mittels einer anderen Art der Sprachübermittlung ermöglicht werden. Auf Wunsch der hinweisgebenden Person ist für eine Meldung innerhalb einer angemessenen Zeit eine persönliche Zusammenkunft mit einer zuständigen Person der internen Meldestelle zu ermöglichen.
Nach Eingang einer Meldung ist innerhalb von sieben Tagen eine Eingangsbestätigung zu erteilen. Spätetens nach weiteren drei Monaten hat die interne Meldestelle eine Rückmeldung über geplante oder bereits ergriffene Folgemaßnahmen sowie die Gründe hierfür zu geben. Dies gilt nicht, wenn durch eine solche Rückmeldung interne Nachforschungen oder Ermittlungen berührt oder die Rechte von Personen, die in der Meldung genannt werden, beeinträchtigt werden würden.
Schutz der hinweisgebenden Person
Der Anwendungsbereich der Schutzvorschriften des HinSchG ist gemäß dem Zweck des Gesetzes – Verbesserung des Schutzes von Whistleblowern – weit gefasst. Erfasst ist die Meldung und Offenlegung von Informationen über strafbewehrte und bußgeldbewehrte Verstöße, bei Letzteren jedoch nur wenn die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib, Gesundheit oder dem Schutz der Rechte der Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient. Ferner sind Verstöße gegen zahlreiche weitere, näher benannte Rechtsbereiche (z.B. Kartellrecht, Umweltrecht oder Vorschriften zur Produktsicherheit – Verstöße gegen das AGG sind indes nicht aufgenommen) umfasst. Damit sind alle nationalen Straf- und Bußgeldvorschriften, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis relevant werden können, vom Geltungsbereich des HinSchG erfasst. Sonstiges Fehlverhalten jedoch, z.B. Verstöße gegen nur unternehmensintern geltende Compliance-Regelungen, fallen nicht hierunter.
Geschützt ist nach dem neuen Gesetz jede Person, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt hat und diese an die vorgesehenen Meldestellen meldet oder offenlegt. Geschützt werden dabei auch Personen, die mit der hinweisgebenden Person in Verbindung stehen. Die Beweggründe der hinweisgebenden Person sind jedoch unerheblich. Allerdings unterfällt eine hinweisgebende Person nur dann dem Schutz des Gesetzes, wenn die Meldung auf begründeten Verdachtsmomenten oder tatsächlichem Wissen über erfolgte oder mögliche Verstöße oder deren Verschleierung beruht.
Jegliche Repressalien gegen die hinweisgebende Person oder deren Unterstützer sind verboten, genau so wie deren Androhung oder Versuch. Unter das Verbot von Repressalien können auch zahlreiche arbeitsrechtliche Maßnahmen fallen, beispielsweise Kündigungen, Versetzungen und Freistellungen. Erleidet eine hinweisgebende Person nach einer Meldung oder Offenlegung eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit, so wird vermutet, dass es sich hierbei um eine Repressalie handelt. Dies muss von der hinweisgebenden Person jedoch ausdrücklich geltend gemacht werden. Sodann hat das Unternehmen nachzuweisen, dass die Benachteiligung in Wirklichkeit gar nicht auf die Meldung zurückgeht oder aber, dass diese gerechtfertigt war.
Schadenersatz und Bußgeld
Bei einem Verstoß gegen das Verbot von Repressalien ist das Unternehmen verpflichtet, der hinweisgebenden Person den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Ein immaterieller Schadensersatzanspruch ist jedoch nicht (mehr) vorgesehen. Demgegenüber kann auch der Hinweisgeber bei Falschmeldungen haftbar sein.
Nach dem Bußgeldkatalog des HinSchG können sowohl gegen Unternehmen als auch gegen die in der Meldestelle tätigen Personen (Verstoß gegen das Vertraulichkeitsgebot) sowie gegen hinweisgebende Personen, die wissentlich unrichtige Informationen melden, Bußgelder verhängt werden. Die Bußgeldhöhe liegt bei EUR 10.000 bzw. EUR 20.000 für Verstöße im institutionellen Bereich (z.B. Nichteinrichtung eines internen Meldekanals) und EUR 50.000 EUR (Repressalien, Verstoß gegen das Vertraulichkeitsgebot). Jedoch setzt die Verhängung eines Bußgeldes stets Vorsatz voraus. Einschneidende Bußgelder sind insoweit wohl nur dann zu erwarten, wenn sich Unternehmen hartnäckig weigern, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen oder Repressalien gegen Hinweisgeber ergreifen.
Bedeutung für die Praxis
Zwar verfügen die meisten Großunternehmen längst über einschlägige Meldekanäle, kleine und mittlere Unernehmen sollten sich jedoch sehr zeitnah um die Einrichtung der erforderlichen Meldekanäle kümmern, da die gesetzliche "Schonfrist" lediglich bis zum 17. Dezember 2023 läuft. Sofern im Unternehmen ein Betriebsrat besteht, ist dessen Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, ggf. auch nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, bei der Einrichtung der internen Meldestelle zu beachten. Ferner ist der betriebliche Datenschutzbeauftragte einzubinden.
Nach dem HinSchG sind Vereinbarungen, welche die nach dem Gesetz bestehenden Rechte hinweisgebender Personen einschränken, unwirksam. Deshalb sollten Unternehmen auch prüfen, ob einzelne Klauseln der im Unternehmen verwendeten Musterarbeitsverträge an das neue Gesetz angepasst werden müssen. Dies umfasst insbesondere die Regelungen zu Geheimhaltungspflichten, Versetzungen, Freistellungen und Kündigungen. Hierbei ist auch zu überlegen, eine separate Klausel zum Hinweisgeberschutz in den Musterarbeitsvertrag aufzunehmen.