"Vertrauensurlaub" – Chancen und Herausforderungen eines neuen HR-Trends
Für eine erfolgreiche Mitarbeitergewinnung und -bindung werden in der Arbeitswelt 4.0 fortwährend neue Ideen und Konzepte entwickelt, um dem Wunsch der Beschäftigten nach mehr Selbstbestimmung und Flexibilität im Arbeitsleben nachzukommen. Ein aktueller Trend ist der sogenannte "Vertrauensurlaub", auf den nicht nur Start-Ups, sondern zunehmend auch klassische Unternehmen setzen. Wir zeigen in diesem Beitrag, was dabei zu beachten ist.
Unbegrenzter Urlaubsanspruch auf Vertrauensbasis
"Vertrauensurlaub" bedeutet im Kern, dass der Arbeitgeber bewusst auf jegliche Kontrolle und Genehmigung von Urlaubsanträgen verzichtet. Stattdessen steht den Beschäftigten ein unbegrenztes Kontingent an bezahlten Urlaubstagen zur Verfügung, die sie auf Vertrauensbasis und in Abstimmung mit ihrem Arbeitsumfeld einteilen dürfen. Dieses moderne Konzept stammt ursprünglich aus der US-Amerikanischen Start-Up- und Tech-Szene und kommt beispielsweise beim Streaming-Dienst-Unternehmen Netflix zum Einsatz.
Mit der Übertragung der freien Verantwortung wird den Beschäftigten ein hohes Maß an Vertrauen und Wertschätzung auf Augenhöhe entgegengebracht. Dies führt wiederum zu einer höheren Leistungsmotivation. Außerdem können krankheitsbedingte Ausfälle reduziert werden, da die flexible Urlaubsgestaltung nach individuellem Bedarf eine bessere Erholung und Work-Life-Balance ermöglicht. Nicht zuletzt können durch den Wegfall des administrativen Aufwands wertvolle Ressourcen eingespart werden.
Für Unternehmen birgt Vertrauensurlaub aber auch verschiedene Risiken. Trotz einer unbegrenzten Verfügbarkeit von Urlaubstagen muss sichergestellt sein, dass die Arbeitsziele erreicht werden. Dies erfordert eine gute Selbstorganisation, die nicht allen Beschäftigten gleichermaßen leicht fällt. Dabei ist nicht nur ein Missbrauch durch Ausreizung der Urlaubstage "nach oben" möglich. Eine Gefahr besteht auch darin, dass viele Beschäftigten dazu tendieren, zu wenig Erholungsurlaub in Anspruch zu nehmen, weil sie sich einem erhöhten sozialen Druck ausgesetzt fühlen. Folgen könnten dann etwa Überlastung, Überarbeitung oder Krankheit bis hin zum Burnout sein.
Klare vertragliche Regelungen erforderlich
Für eine erfolgreiche Umsetzung im Unternehmen ist daher eine individualvertragliche Vereinbarung und gewisse Regulierung des Vertrauensurlaubs zwingend. Hierbei gilt es, eine Balance zwischen Freiheit und Kontrolle herzustellen.
Zum Schutz vor Gesundheitsgefahren wegen Überlastung legt das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) eine Mindesturlaubszeit von 20 Werktagen bei einer 5-Tage-Woche fest. Dieser gesetzliche Rahmen ist unabdingbar und darf auch bei einer Vereinbarung von Vertrauensurlaub nicht unterschritten werden. Es empfiehlt sich, im Vertrag ausdrücklich zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und Vertrauensurlaub zu unterscheiden. Außerdem sollte die Inanspruchnahme des Mindesturlaubs genau dokumentiert werden, um einen (unzulässigen) Verzicht auszuschließen.
Hinsichtlich des Vertrauensurlaubs können auch Vereinbarungen getroffen werden, die vom BUrlG abweichen. Sinnvoll wäre es hier, eine Übertragung in das Folgejahr oder eine Abgeltung auszuschließen, um praktische Schwierigkeiten und Streitigkeiten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Auch empfiehlt es sich, der Urlaubsfreiheit in besonderen Fällen Grenzen zu setzen. So kann die Inanspruchnahme von Vertrauensurlaub vor Ablauf der Probezeit oder nach Erklärung der Kündigung ausgeschlossen werden. Klare Regelungen sollten auch für Krankheitsfälle getroffen werden: § 3 EFZG, der einen Fortzahlungsanspruch von 6 Wochen vorsieht, könnte andernfalls leicht umgangen werden, indem Beschäftigte sich bezahlten Urlaub nehmen, anstatt sich krank zu melden. Entsprechendes gilt für die gesetzliche Elternzeit. Um eine Kontinuität des Betriebsablaufs sicherzustellen und der Gefahr einer plötzlichen Unterbesetzung vorzubeugen, kann der Arbeitgeber ferner Mindestabstände zwischen den Urlaubszeiträumen festlegen.
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
Zwar kann der Arbeitgeber frei über die Einführung von Vertrauensurlaub entscheiden. Bei Regelungen zu dessen Inanspruchnahme handelt es sich aber um die Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze, die nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegen.
Fazit
Die Einführung von Vertrauensurlaub bietet vielversprechende Möglichkeiten und Chancen für Unternehmen, sich den Anforderungen der modernen Arbeitswelt anzupassen und attraktiver für qualifizierte Arbeitskräfte zu werden. Das Konzept könnte daher in Zukunft als Incentive auf dem Arbeitsmarkt immer mehr an Bedeutung gewinnen, wenn die Risiken hinreichend berücksichtigt und für das konkrete Unternehmen sinnvolle Vereinbarungen getroffen werden.