Neustart 2023 – Was im Arbeitsrecht relevant wird

Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur „Arbeitszeiterfassung“ und des EuropäischenGerichtshofs zur Verjährung von Urlaubsansprüchen haben die arbeitsrechtliche Praxis zum Jahresende 2022 gehörig beschäftigt. Gleichwohl zeichnet sich zum Jahresbeginn 2023 eines ab: Auch dieses Jahr hält spannende arbeitsrechtliche Neuerungen bereit. Beispielsweise das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und das zu erwartende Hinweisgeberschutzgesetz legen Unternehmen Pflichten auf, die es gleichermaßen praxisnah wie rechtssicher umzusetzen gilt. Was Sie für das Jahr 2023 wissen sollten, haben wir in diesem Beitrag für Sie zusammengefasst.

Lieferkettensorgfaltsgesetz

Zum 01.01.2023 trat das neue „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“ (kurz: LkSG) in Kraft und betrifft zunächst nur Unternehmen mit mindestens 3.000 Arbeitnehmer:innen. Die normierten Sorgfaltspflichten besagen im Kern, dass Unternehmen sich bemühen müssen, die Risiken für Menschenrechtsverletzungen und bestimmte Umweltschäden in ihren Lieferketten zu minimieren. Sie sind insbesondere verpflichtet, diese Risiken bei ihren unmittelbaren Zulieferern (den eigenen Vertragspartnern) regelmäßig zu analysieren – bei den mittelbaren Zulieferern hingegen nur, wenn dazu Anlass besteht.

Betriebsintern wachen Betriebsrat (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und Wirtschaftsausschuss (§ 106 Abs. 3 Nr. 5 lit, b) BetrVG) über die Einhaltung der Sorgfaltspflichten. Letzterer ist hierüber wie gewohnt rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Wichtig zu wissen: Das LkSG regelt keine neuen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats; insbesondere kann der Betriebsrat nicht per se auf dieEinhaltung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten drängen. Allerdings können bei der Umsetzung der Vorgaben aus dem LkSG allgemeine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats einschlägig sein.

Das Ende des „gelben Scheins“ (eAU)

Ab dem 01.01.2023 entfällt die Pflicht der Arbeitnehmer:innen, dem Arbeitgeber im Fall der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG) – jedenfalls für gesetzlich Versicherte. Stattdessen ist es nun an den Arbeitgebern, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für ihre Arbeitnehmer:innen bei der gesetzlichen Krankenkasseelektronisch abzurufen. Die Arbeitnehmer:innen sind jedoch weiterhin verpflichtet, ihre Arbeitsunfähigkeit (vorbehaltlich anderer Vereinbarungen) spätestens am vierten Tag ärztlich feststellen zu lassen (§ 5 Abs. 1a EFZG). Viele Arbeitsverträge regeln hier abweichende Fristen, diegegebenenfalls an die neue Rechtslage angepasst werden müssen. An der Pflicht der Arbeitnehmer:innen, die eigene Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber unverzüglich (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG) bzw. innerhalb der vereinbarten Frist anzuzeigen, ändert sich hierdurch nichts.

Digitalisierung auf dem Vormarsch? Die elektronische Arbeitsbescheinigung

Auch die Arbeitsbescheinigung, die Arbeitgeber beim Ende des Arbeitsverhältnisses auf Verlangenausstellen müssen (§ 312 SGB III), kann ab dem 01.01.2023 elektronisch an die Bundesagentur für Arbeit übermittelt werden (§ 313a SGB III). Wichtig: Wer hiervon Gebrauch machen möchte, muss den/die Arbeitnehmer:in schriftlich darauf hinweisen, dass er/sie der elektronischen Übermittlung widersprechen kann. Es empfiehlt sich daher, die Belehrungen zum Ende des Arbeitsverhältnisses (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III) um einen Hinweis auf das Widerspruchsrecht zu ergänzen.

Neues vom Hinweisgeberschutzgesetz

Die EU-Whistleblower-Richtlinie 2019/1937 steht kurz vor ihrer Umsetzung. Am 16.12.2022 wurde der Gesetzesentwurf vom Bundestag beschlossen und muss nun noch den Bundesrat passieren. Während der Regierungsentwurf es den Arbeitgebern noch anheimstellte, auch anonyme Hinweise entgegenzunehmen und zu verfolgen, sieht das beschlossene Gesetzesvorhaben nunmehr eine dahingehende Verpflichtung der Arbeitgeber vor. Um die Anonymität des Hinweisgebers zu sichern, muss der Arbeitgeber Meldekanäle vorhalten, die die anonyme Kommunikation zwischen Hinweisgeber und Meldestelle ermöglichen. Hierbei ist besonders an Online-Meldungen und Whistleblower-Hotlines zu denken, die beide der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Wer aus der Not eine Tugend machen will, kann seine Arbeitnehmer:innenverpflichten, besonders schwerwiegende Verstöße zu melden und hierdurch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, von betriebsinternen Verstößen zu erfahren. Sofern dies nicht bereits formularmäßig im Arbeitsvertrag geschehen ist, bedarf auch eine solche Regelung der Mitbestimmung des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).

Verlängerte Sonderregelungen für Kurzarbeitergeld

Auch wenn die COVID-19-Pandemie weitgehend überwunden scheint, gelten die erleichtertenRegelungen über den Zugang zu Kurzarbeitergeld bis zum 30.06.2023 fort. Somit müssen statt mindestens einem Drittel nur mindestens 10 % der Belegschaft eines Betriebs vom Entgeltausfall betroffen sein. Auch negative Arbeitszeitsalden müssen vor der Gewährung von Kurzarbeitergeld nicht abgebaut werden. Von diesen Erleichterungen zu Gewährung von Kurzarbeitergeld profitieren auch Leiharbeitnehmer:innen.

Befristete Verlängerung zur Durchführung virtueller Zusammenkünfte von Betriebsgremien

Seit dem 17.09.2022 sind die zunächst am 19.03.2022 ausgelaufenen pandemiebedingten Sonderregelungen zur Durchführung virtueller Betriebsversammlungen und Versammlungen der leitenden Angestellten, sowie der Durchführung von Sitzungen der Einigungsstelle im Rahmen der Unterrichtung und Anhörung wiedereingeführt worden. Aufgrund der angespannten Corona-Lage über den Winter hat der Gesetzgeber hierfür die gesetzliche Grundlage in § 129 BetrVG aktualisiert.

Betriebsversammlungen (§ 42 BetrVG) und Betriebsräteversammlungen (§ 53 BetrVG) können somitauch mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Gleiches gilt für Versammlungen der leitenden Angestellten. Eine Aufzeichnung der jeweiligen Versammlung ist unzulässig. Sitzungen der Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) sowie deren Beschlussfassung dürfen ebenfalls mittels einer Video- und Telefonkonferenz erfolgen, jedoch muss auch hier sichergestellt sein, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können und keine Aufzeichnung der Sitzung angefertigt wird.

Zu beachten ist, dass diese pandemiebedingten Sonderregeln bis zum 07.04.2023 befristet sind und eine virtuelle Zusammenkunft der bezeichneten Gremien somit nur noch bis zum Ablauf dieses Zeitraums möglich ist. Eine erneute Verlängerungsmöglichkeit, die vormals in § 129 Abs. 3 BetrVG zu finden war, wurde nicht erneut in den Gesetzestext aufgenommen.

Arbeitnehmerüberlassung – Verlängerung der Überlassungshöchstdauer durch Tarifvertrag

Von Gesetzeswegen können Leiharbeitnehmer:innen dem Entleiher nur für maximal 18 Monate überlassen werden (§ 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG). Verstoßen Ver- und Entleiher hiergegen, ist das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer:in unwirksam (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG) und es entsteht kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer:in (§ 10 Abs. 1 AÜG). Angesichts dessen ist es erfreulich, dass das Bundesarbeitsgericht in seinen Urteilen vom 14.09.2022 (Az. 4 AZR 83/21 und 4 AZR 26/21) klargestellt hat, dass die Tarifpartner der Einsatzbranche die Höchstdauer der Überlassung tarifvertraglich ausweiten dürfen – im konkreten Fall sogar auf max. 48 Monate. Dies gilt – besonders praxisnah – unabhängig davon, ob Verleiher oder Leiharbeitnehmer:innen tarifgebunden sind. Ausreichend ist die Tarifbindung des Entleihers.

Arbeitszeiterfassung

Mehr als drei Jahre nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14.05.2019 (Az. C-55/18) überraschte das Bundesarbeitsgericht am 12.09.2022 (Az. ABR 22/21) mit der Feststellung, dass Arbeitgeber bereits derzeit verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer:innen zu erfassen – auch ohne eine (bisher allgemein für erforderlich gehaltene) Umsetzung durch den Gesetzgeber. Das Bundesarbeitsgericht legt seiner Entscheidung § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG zugrunde und leitet hieraus die Pflicht des Arbeitgebers ab, Beginn und Ende sowie (wohl auch) konkrete Pausen manuell oder elektronisch zu erfassen. Obwohl die Pflicht unmittelbar jeden Arbeitgeber trifft, drohen bei Verstößen vorerst keine unmittelbaren Sanktionen; die Norm ist weder bußgeld- noch strafbewehrt. Wer der neu erkannten Pflicht zur Arbeitszeiterfassung im Jahr 2023 nachkommen will, wird im Rahmen der Ausgestaltung seinen Betriebsrat zu beteiligen haben (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG)insbesondere, wenn die Arbeitszeit elektronisch erfasst werden soll (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).

Ob das Urteil des Bundesarbeitsgerichts das Ende der sog. Vertrauensarbeitszeit besiegelt, ist ebenso umstritten wie die Frage, was sich hinter diesem Begriff überhaupt verbirgt. Die Regelungen in der Praxis sind mannigfaltig und eine generalisierende Bewertung nicht möglich. Zumindest für die Geltendmachung von Überstundenvergütung scheint das Urteil aber ohne Auswirkung zu bleiben. Hier bleibt die Beweislast weiterhin bei dem/der Arbeitnehmer:in. Dies hatte das Bundesarbeitsgericht bereits in seinem Urteil vom 04.05.2022 (Az. 5 AZR 359/21) klargestellt.

Urlaubsanspruch – Ohne Hinweis keine Verjährung

Eine der letzten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts des Jahres 2022 stärkt die Position von Arbeitnehmer:innen gegenüber Arbeitgebern im Streit um den Verfall von nicht genommenem Urlaub. Durch Urteil vom 20.12.2022 (Az. 9 AZR 266/20) entschieden die Erfurter Richter/innen, dass zwar grundsätzlich die allgemeinen Verjährungsregeln (§§ 214 Abs. 1, 194 Abs. 1 BGB) auch auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung finden, allerdings der Fristenlauf nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres beginnt. Für einen wirksamen Fristbeginn ist vielmehr entscheidend, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmer:innen über ihren konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und diese den Urlaub trotzdem aus freien Stücken nicht genommen haben. Arbeitgebern müssen durch die Erfüllung von Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten ihre Arbeitnehmer:innenfolglich in die Lage versetzen, den bestehenden Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Das Gerichtstatuiert mithin eine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers als Voraussetzung für den Anlauf der regelmäßigen Verjährungsfrist. Die gleichen Anforderungen gelten auch für den Verfall von Urlaubsansprüchen nach dem Bundesurlaubsgesetz (§ 7 Abs. 3 Satz 1, 3 BurlG).

Wir wünschen Ihnen ein frohes, erfolgreiches und vor allem gesundes neues Jahr!

 

 

Dr. Anja Naumann, LL.M.

Rechtsanwältin

Sven Groschischka

Rechtsanwalt

 

 

 

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