Neues zum Urlaubsrecht – Aktuelle Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen

Das Urlaubsrecht ist im ständigen Wandel. Aufgrund jüngster Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat sich im Bereich des Urlaubsrechts erneuert einiges geändert, zum Beispiel mit Blick auf die Urlaubsansprüche langzeiterkrankter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der nachfolgende Beitrag soll aufzeigen, worauf Arbeitgeber in Zukunft achten müssen.

Aktuelle Rechtslage

Urlaub muss grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr genommen werden (§ 7 BurlG). Lediglich ausnahmsweise ist eine Übertragung in das nächste Kalenderjahr möglich, sofern dringende betriebliche Gründe oder in der Person des Arbeitnehmers[1] liegende Gründe dies rechtfertigen. Mit anderen Worten: Grundsätzliche verfällt der Urlaubsanspruch, sofern der Urlaub nicht bis zum Ende des Jahres genommen wird. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung erlischt der Urlaubsanspruch aber nur dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub am Ende des Kalenderjahres verfallen wird, sofern er diesen nicht in Anspruch nimmt. Kommt der Arbeitgeber dieser Mitwirkungspflicht nicht nach, verfällt der Urlaub nicht.

Ohne Information keine Verjährung

Bereits im Jahr 2020 musste sich das BAG mit der Frage beschäftigen, ob ein Urlaubsanspruch, der nach den o.g. Grundsätzen nicht verfallen ist, zumindest der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren unterliegt. Das BAG legte diese Frage dem EuGH vor, der nunmehr entschieden hat.

Der EuGH (Urt. v. 22.09.2022 – C-120/21) führte aus, dass der Arbeitgeber sich nur dann auf die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist berufen dürfte, sofern dieser den Arbeitnehmer zuvor ordnungsgemäß auf die Wahrnehmung seines Urlaubs hingewiesen hat. Wird der Arbeitnehmer dagegen nicht in die Lage versetzt, den Urlaub tatsächlich zu nehmen, kann sich der Arbeitgeber auch nicht darauf berufen, dass der Urlaub verjährt sei.

Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer also (weiterhin) – erforderlichenfalls förmlich – dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt. Der Arbeitgeber muss sich dabei auf einen „konkret“ bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen. Anderenfalls kann sich der Arbeitgeber nicht auf die Einrede der Verjährung berufen. Das heißt, Arbeitnehmer können im schlimmsten Fall über mehr als drei Jahre nicht genommenen Urlaub "ansammeln", ohne dass dieser verfällt, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist.

Bei Langzeitkranken künftig differenzieren

Der EuGH hat sich auch zum Sonderfall der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit langzeiterkrankter Arbeitnehmer geäußert. Diese können – da sie während ihrer Krankheit nicht die Möglichkeit haben ihren Urlaub zu nehmen – diesen grundsätzlich noch bis zu 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres beanspruchen. D.h. ein Arbeitnehmer, welcher im Jahr 2021 durchgehend arbeitsunfähig gewesen ist, könnte seinen Urlaub aus dem Jahr 2022 noch bis zum 31.03.2023 nehmen. Mit Ablauf des 31.03.2023 verfällt der Urlaubsanspruch, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsverpflichtung nachgekommen ist oder nicht – so jedenfalls die bisherige Rechtslage.

Kürzlich musste sich das BAG gleich zweifach (BAG, Urt. v. 07.07.2020 - 9 AZR 245/19 und 9 AZR 401/19) mit der Frage beschäftigten, ob Arbeitnehmer, welche im Verlaufe des Kalenderjahres dauerhaft erkrankt sind, jedoch ihren bis dahin erworbenen Urlaub zumindest noch nicht vollständig genommen hatten, ebenfalls über den ihnen jeweils zustehenden Urlaubsanspruch zu unterrichten sind. Das BAG legte dem EuGH diese Frage zur Entscheidung vor.

In seinen jüngsten Entscheidungen (Urt. v. 22.09.2022 – C-518/20; C-727/20) schränkte der EuGH nun die Rechtsprechung des BAG und bisherige Praxis ein. Denn durch die neue Rechtsprechung des EuGH muss nun zwischen den einzelnen Zeiträumen differenziert werden:

  • Erkrankt ein Arbeitnehmer im Verlaufe des Kalenderjahres dauerhaft, so bedarf es für den Verfall des bereits erworbenen Urlaubsanspruchs einer Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers. Wie eine solche Mitwirkungshandlung ausgestaltet und wann diese ergehen sollte, entschied der EuGH nicht. Sollten Anhaltspunkte vorliegen, dass ein im Verlaufe des Jahres erkrankter Arbeitnehmer voraussichtlich längerfristig ausfallen wird, sollte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorsichtshalber darauf hinweisen, dass der Urlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr, jedoch bei dauerhafter, ununterbrochener Erkrankung bis zum 31.03. des zweiten Folgejahres wahrgenommen werden muss. Anderenfalls würde dieser verfallen.
  • Urlaubsansprüche, welche nach dem Eintritt der Langzeiterkrankung erworben werden, verfallen weiterhin 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflicht nachkommt.

Praxistipps

Es gilt weiterhin, dass Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer rechtzeitig und verständlich über ihre bestehenden Urlaubsansprüche und deren Verfall informieren müssen. Kommt der Arbeitgeber dieser Mitwirkungshandlung nicht nach, kann sich dieser nicht auf die Einrede der Verjährung berufen.

Bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern muss nun nach neuer Rechtsprechung zwischen den Urlaubsansprüchen unterschieden werden, die vor und nach dem Eintritt der Erkrankung erworben wurden. Die zuletzt genannten Urlaubsansprüche verfallen ohne Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres. Welche Anforderungen das BAG in seiner abschließenden Entscheidung (terminiert zum 20.12.2022) an die Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers bezüglich der bereits erworbenen Urlaubsansprüche stellen wird, bleibt abzuwarten. Daher empfiehlt es sich Arbeitnehmer, welche im Verlaufe des Kalenderjahres dauerhaft erkranken, darauf hinzuweisen, dass ihr bereits erworbener Urlaubsanspruch, falls sie nicht im Verlaufe des Jahres genesen sollten, erst zum 31.03. des zweiten Folgejahres verfällt.

 

[1] Gemeint sind Arbeitnehmende jeder Geschlechtsidentität. Die grammatikalische männliche Form wird lediglich aufgrund der Lesbarkeit verwendet.

 

 

Dr. Anja Naumann, LL.M.

Rechtsanwältin

Sven Groschischka

Rechtsanwalt

 

 

 

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