Neue Produkthaftungsrisiken auch für Händler: Die „Ford Italia“-Entscheidung des EuGH
Nach der europäischen Produkthaftungsrichtlinie haften für Schäden, die durch fehlerhafte Produkte entstehen, nicht nur der tatsächliche Hersteller des Produkts, sondern auch Personen oder Unternehmen, die ihren Namen oder andere Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringen und so den Anschein erwecken, am Produktionsprozess beteiligt gewesen zu sein. Der EuGH hat Ende 2024 entschieden, dass diese Haftung als „Quasi-Hersteller“ auch Lieferanten treffen kann, die mit dem Hersteller lediglich den Namen teilen. Welche Risiken sich daraus für Händler und Hersteller ergeben, lesen Sie in diesem Beitrag.
Worum ging es?
Ein italienischer Verbraucher hatte 2001 ein Fahrzeug der Marke Ford von einer in Italien ansässigen Vertragshändlerin der Marke erworben. Das Fahrzeug war von einer in Deutschland ansässigen Ford-Gesellschaft (Ford WAG) hergestellt und dann über eine italienische Ford-Vertriebsgesellschaft (Ford Italia) an die italienische Vertragshändlerin geliefert worden.
Nach einem Unfall, bei dem ein Airbag des Fahrzeugs nicht funktionierte, nahm der Verbraucher die Vertragshändlerin sowie Ford Italia vor den italienischen Gerichten auf Schadenersatz in Anspruch. Ford Italia verteidigte sich gegen die Klage mit dem Argument, dass sie das Fahrzeug nicht hergestellt, sondern nur geliefert habe. Der Rechtsstreit ging durch die Instanzen. Der italienische Kassationsgerichtshof legte schließlich dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob eine Haftung eines Lieferanten als „Quasi-Hersteller“ nach der Produkthaftungsrichtlinie auch dann in Betracht komme, wenn der Lieferant weder seinen Namen noch sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen physisch auf dem Produkt angebracht habe, aber der Lieferant einen Namen, ein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen habe, der bzw. das mit dem des Herstellers ganz oder teilweise übereinstimmt.
Haftung als Quasi-Hersteller setzt laut EuGH keine aktive Handlung voraus
Der EuGH entschied, dass es für eine Haftung eines Lieferanten als „Quasi-Hersteller“ unerheblich sei, ob der Lieferant selbst physisch ein Erkennungszeichen auf diesem Produkt angebracht habe oder ob sein Name nur die vom Hersteller auf dem Produkt angebrachte Angabe (hier: Ford) enthalte, die auch dem Namen des Herstellers entspricht. In beiden Fällen nutze der Lieferant die Übereinstimmung zwischen der in Rede stehenden Angabe und seinem eigenen Firmennamen, um sich den Verbraucherinnen und Verbrauchern als für die Qualität des Produkts Verantwortlicher zu präsentieren und bei ihnen ein vergleichbares Vertrauen hervorzurufen, als wenn diese das Produkt unmittelbar vom Hersteller erworben hätten. Insbesondere die Verwendung des Erkennungszeichens in der Firmenbezeichnung reiche daher aus, um sich im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie „als Hersteller auszugeben“. Andernfalls würde aus Sicht des EuGH die Bedeutung des Begriffs „Hersteller“ eingeschränkt und damit der von der Produkthaftungsrichtlinie beabsichtigte Verbraucherschutz beeinträchtigt (EuGH, Urteil v. 19. Dezember 2024 – C-157/23 | Ford Italia).
Haftungsrisiko für Händler steigt
Der EuGH geht mit dieser Auslegung über den Wortlaut der Produkthaftungsrichtlinie hinaus, der für eine Einstufung als „Quasi-Hersteller“ eine aktive Handlung (das „Anbringen“ eines Namens oder Erkennungszeichens) voraussetzt. Dadurch erweitert er das Risiko für Händler, neben den Herstellern ebenfalls verschuldensunabhängig nach der Produkthaftungsrichtlinie in Anspruch genommen zu werden, erheblich.
Primär dürfte sich die Entscheidung vor allem auf Konzern(vertriebs)gesellschaften auswirken, die – wie Ford Italia – die Herstellerbezeichnung auch in ihrem Firmennamen tragen. Doch sollte der EuGH seine verbraucherfreundliche Linie fortführen, erscheint es auch denkbar, dass beispielsweise Vertragshändler, die Kennzeichen des Herstellers prominent in ihrem Außenauftritt nutzen, mit einer vergleichbaren Begründung in die (Produkt-)Haftung genommen werden könnten.
Dieses Risiko dürfte auch mit dem Inkrafttreten der neuen Produkthaftungsrichtlinie, die von den Mitgliedstaaten bis zum 9. Dezember 2026 umzusetzen ist und ab dann für Produkte gilt, die ab diesem Zeitpunkt in Verkehr gebracht werden, bestehen bleiben. Denn die Regelung zum „Quasi-Hersteller“ wurde in vergleichbarer Form in die Neufassung übernommen.
Haftungsrisiken frühzeitig in Vertriebsverträgen adressieren
Während Händler vor allem ein Interesse daran haben dürften, im Falle ihrer Inanspruchnahme für Produktfehler den Regress gegenüber ihrem Vertragspartner und/oder dem Hersteller zu sichern, sind auch Hersteller gut beraten, die möglichen Konsequenzen eines solchen Falles im Vorfeld mit ihren Vertriebspartnern vertraglich zu regeln. Hier ist insbesondere an Informations- und Kooperationsverpflichtungen der in Anspruch genommenen Lieferanten zu denken, um zu verhindern, dass diese in einem Produkthaftungsprozess unabgestimmt Erklärungen abgeben, die sich negativ auf die Verteidigungsstrategie der Hersteller auswirken können. Darüber hinaus muss sich für Händler ab sofort immer die Frage stellen, wie stark man die Erkennungszeichen des Herstellers in seine eigene Firmierung und seinen eigenen Auftritt aufnehmen möchte. Weniger dürfte hier im Ergebnis mehr sein.
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Dr. Ulrich Becker
Rechtsanwalt | Partner |
Phillip Bubinger
Rechtsanwalt | Counsel |
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