Initiativrecht des Betriebsrates bei der Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung – Das Ende der Vertrauensarbeitszeit?

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Betriebsrat nicht die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung verlangen. Eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hessen könnte dies nun ändern. Nach Auffassung des Gerichts soll dem Betriebsrat ein Initiativrecht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung im Betrieb zukommen. Dies könnte für Arbeitgeber insbesondere bei der Gestaltung von Vertrauensarbeitszeitmodellen erhebliche Einschränkungen mit sich bringen.

Modell der Vertrauensarbeitszeit

Bei der Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit wird auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet. Es werden keine konkreten Zeiten vorgegeben, zu denen ArbeitnehmerInnen tätig werden sollen. Vielmehr wird nur ein täglicher Zeitrahmen vorgegeben, innerhalb dessen gearbeitet werden kann. Es erfolgt weder eine Zeiterfassung noch eine Zeitkontrolle, sondern die Leistung der ArbeitnehmerInnen wird allein anhand der Arbeitsergebnisse eingeschätzt. Hierdurch wird ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit gegeben, eine bessere Koordinierung von Arbeitszeit und gewünschter Freizeit zu erreichen, was zu einer höheren Arbeitszufriedenheit und Motivation innerhalb der Belegschaft führen kann.

Bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Bereits 1989 hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass das Initiativrecht des Betriebsrats in Bezug auf den Mitbestimmungstatbestand nach § 87 Abs 1 Nr. 6 BetrVG nicht zum Inhalt habe, dass der Betriebsrat auch die Einführung einer technischen Einrichtung zur Arbeitszeiterfassung verlangen könne. Das Gericht hat dies mit dem Zweck des Mitbestimmungsrechts begründet. Dieser liege allein darin, den Gefahren einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts und des Rechts der ArbeitnehmerInnen auf freie Entfaltung dieser Persönlichkeit bei der Einführung elektronischer Kontrolleinrichtungen zu begegnen. Insoweit diene die Mitbestimmung lediglich der Abwehr von unzulässigen Eingriffen in den Persönlichkeitsbereich der ArbeitnehmerInnen. Ein Initiativrecht des Betriebsrats bei der Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung würde diesem Zweck widersprechen.

Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hessen

Dies sah das Landesarbeitsgericht Hessen in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 27. Juli 2021 - Az. 7 TaBV 79/20) anders. Dem Betriebsrat soll gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zustehen. Dies sei der gesetzgeberischen Grundentscheidung bei der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 1972 zu entnehmen. Denn der Gesetzgeber habe bei der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten bewusst nicht zwischen Mitbestimmungsrechten mit Initiativrecht und solchen ohne Initiativrecht unterschieden. Vielmehr habe dieser eine Einschränkung der Mitbestimmung allein bei solchen Mitbestimmungsrechten vorgenommen, bei denen ausdrücklich aufgrund der gewählten Formulierung lediglich Form-, Ausgestaltung und deren Verwaltung mitbestimmungspflichtig seien (z.B. bei der Mitbestimmung in Bezug auf Sozialeinrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG). Hier ergebe sich – anders als bei der Mitbestimmung hinsichtlich technischer Kontrolleinrichtungen – eindeutig aus dem Wortlaut, dass kein Initiativrecht des Betriebsrats bestehen solle. In allen anderen Fällen sei dagegen ein Initiativrecht des Betriebsrats uneingeschränkt gegeben.

Ausblick

Die vor dem Landesarbeitsgericht unterlegene Arbeitgeberin hat gegen die Entscheidung Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht eingelegt. Insoweit bleibt mit Spannung zu erwarten, ob das Bundesarbeitsgericht an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten oder der Auffassung des Landesarbeitsgerichts folgen wird.

Eine weitere spannende Frage im Zusammenhang mit dieser Thematik ist, inwiefern das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18) dabei eine Rolle spielen und der momentan noch weit verbreiteten Vertrauensarbeitszeit entgegenstehen könnte. Denn nach europarechtlichen Vorgaben haben die nationalen Gesetzgeber eine Rechtsgrundlage zu schaffen, wonach ArbeitgeberInnen ein objektives und verlässliches System zur Arbeitszeiterfassung einrichten müssen. Dem ist der deutsche Gesetzgeber noch nicht nachgekommen. Inwiefern europarechtliche Vorgaben der bisherigen Durchführung von Vertrauensarbeitszeit in der Praxis auch ohne ausdrückliche (nationale) gesetzliche Regelung bereits entgegenstehen könnten, hat das Landesarbeitsgericht Hessen ausdrücklich offengelassen.

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Dr. Antje-Kathrin Uhl

Rechtsanwältin

Dr. Anja Naumann, LL.M.

Rechtsanwältin

 

 

 

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