"Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" oder das Ende von Gehaltsverhandlungen? Die Equal-Pay-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht urteilte am 16.02.2023 zur Entgeltgleichheit von Männern und Frauen. Die Entscheidung wurde gleichermaßen als längst überfälliger Meilenstein der Gleichberechtigung gefeiert wie als Aufgabe der Vertragsfreiheit verteufelt. Was das Bundesarbeitsgericht wirklich entschieden hat, was es mit dem Entgelttransparenzgesetz auf sich hat und warum diese Entscheidung ebenso revolutionär wie kritikwürdig ist, haben wir für Sie zusammengefasst.

Gender Pay Gap

Hinsichtlich des Gender Pay Gap, also des statistischen Verdienstunterschieds zwischen Männern und Frauen, liegt die Bundesrepublik Deutschland im europäischen Vergleich auf einem der letzten Plätze. Die "bereinigte" Lücke zwischen den durchschnittlichen Brutto-Stundenlöhnen von Frauen und Männern lag in Deutschland zuletzt bei 7 %, was im Jahr 2023 dazu führte, dass Frauen statisch erst ab dem 7. März für ihre Arbeit bezahlt wurden (sog. Equal-Pay-Day).

Das am 30.06.2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz verbietet zwar Benachteiligungen wegen des Geschlechts hinsichtlich der Vergütung (§ 1 EntgTranspG). Zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Bezahlung von Männern und Frauen wurde von der Rechtsprechung aber lange Zeit schon der Verweis auf das (angeblich) bessere Verhandlungsgeschick eines männlichen Kandidaten geduldet. Dem schob das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 16.02.2023 (Az. 8 AZR 450/21) nun einen Riegel vor. In der Pressemitteilung heißt es hierzu:

"Eine Frau hat Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Daran ändert nichts, wenn der männliche Kollege ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt."

Die Entgeltlichkeit von Männern und Frauen

Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, deren drei Monate zuvor eingestellter männlicher Kollege ein um EUR 1.000 höheres Grundgehalt erhielt. Der beklagte Arbeitgeber beschäftigte vor der Einstellung der Klägerin zum 01.03.2017 und ihres männlichen Kollegen zum 01.01.2017 insgesamt drei Vertriebsmitarbeiter:innen. Eine/r dieser Mitarbeiter:innen hatte ihr/sein Arbeitsverhältnis zum 31.01.2017 gekündigt. Eine weitere Arbeitnehmerin sollte zum 31.10.2017 ausscheiden. Um diesen Personalschwund zu kompensieren, stellte der Arbeitgeber die Klägerin und ihren Kollegen ein. Zum Gehaltsunterscheid gab der Arbeitgeber an, er habe beiden Kandidat:innen zunächst die gleiche Grundvergütung vom EUR 3.500,00 angeboten. Während die Klägerin dies annahm, habe ihr männlicher Kollege das Angebot abgelehnt und für die Zeit bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung (Bonus) ein höheres Grundgehalt verlangt. Dem habe der Arbeitgeber nachgegeben.

Diese Begründung genügte dem Bundesarbeitsgericht nicht. Es gestand der Klägerin die gleiche Grundvergütung zu wie ihrem männlichen Kollegen und stützte dies auf die §§ 3 Abs. 3, 7 EntgTranspG. Obendrein sprach das Gericht der Klägerin gemäß § 15 Abs. 2 AGG wegen der erlittenen Benachteiligung eine Entschädigung in Höhe von EUR 2.000 zu.

Hintergrund: Entgelttransparenzgesetz

Ab einer Betriebsgröße von 200 Arbeitnehmer:innen können Arbeitnehmer:innen Auskunft über die Entgeltzahlung an die Kolleg:innen verlangen (§ 10 EntgTranspG). Gibt es Hinweise, dass mindestens sechs Kolleg:innen des anderen Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit besser bezahlt werden, kann ein/e Arbeitnehmer:in seine/ihre Vergütung mit dem Durchschnitt dieser Arbeitnehmer:innen vergleichen lassen. Wer zur Vergleichsgruppe gehört, muss der/die Arbeitnehmer:in hierbei selbst angeben. Bei der Bestimmung des durchschnittlichen Entgelts werden Informationen über die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung für maximal zwei Entgeltbestandteile berücksichtigt (z.B. Grundvergütung, Bonus, aber auch Sachleistungen wie die private Nutzung des Dienstwagens).

Bei ungleicher oder nicht gleichwertiger Arbeit besteht kein Auskunftsanspruch. Wenn der Arbeitgeber die von dem/der Arbeitnehmer:in angegebene Tätigkeit für nicht vergleichbar hält, muss er eine andere Vergleichstätigkeit angeben oder, bei Nichtvorhandensein einer entsprechenden Tätigkeit, dies begründen.

Wird der/die Arbeitnehmer:in in seinem/ihrem Verdacht bestätigt, kann er/sie einen Anspruch auf die Zahlung des Entgeltes geltend machen, das zu zahlen gewesen wäre, wenn keine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung beim Entgelt auf Grund des Geschlechts vorgelegen hätte.

Der Arbeitgeber ist zur Auskunft innerhalb von drei Monaten verpflichtet. Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen nicht nach, wird die Ungleichbehandlung vermutet. Er ist berechtigt, verhältnismäßige Rechtfertigungsgründe für eine ungleiche Bezahlung vorzutragen. Für das Vorliegen arbeitsmarktbezogener Gründe oder außergewöhnliche Leistungen des bevorzugten Arbeitnehmers trägt er die Darlegungs- und Beweislast. Also ein solcher rechtfertigender Grund war bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.02.2023 auch das individuelle Verhandlungsgeschick in der Rechtsprechung anerkannt.

Unterschiede bestehen allerdings bei tarifgebundenen Unternehmen. Hier ist der Betriebsrat Ansprechpartner der Arbeitnehmer:innen. Dieser hat alle Auskunftsverlangen zu bündeln und kann in die Entgelttabellen des Arbeitgebers Einsicht nehmen (§ 14 EntgTranspG).

Kritik an der Entscheidung

Ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nun der viel beschworene Meilenstein auf dem Pfad zur Entgeltgleichheit der Geschlechter? Sie ist in jedem Fall ein Fortschritt. Eine ungleiche Bezahlung mit dem angeblichen Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen rechtfertigen zu können, höhlte den Zahlungsanspruch bisher praktisch aus. Denn: Wie sollte eine Arbeitnehmerin in der Lage sein, nachzuweisen, was in einem anderen Bewerbungsprozess geschehen ist? Auch blieb hierbei unberücksichtigt, dass Männer und Frauen aufgrund "klassischer" Rollenbilder und geschlechterspezifischer Zuschreibungen faktisch noch immer unterschiedlich verhandeln (müssen).

Kritiker mögen hier auf das Dogma der "freien Gehaltsverhandlung" verweisen, aber die tatsächliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen ist als Staatszielbestimmung grundrechtlich verankert (Art. 3 Abs. 2 GG) und verdient durchaus Vorrang vor der Vertragsfreiheit. Dies entspricht auch europarechtlichen Vorgaben (vgl. Art. 157 AEUV).

Doch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist gleichwohl kritikwürdig. Die vorangegangene Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 03.09.2021 (Az. 1 Sa 358/19) offenbart bei der Einstellung des besser bezahlten männlichen Kollegen einen erheblichen Druck auf den beklagten Arbeitgeber. Zwei von drei Vertriebsmitarbeiter:innen schieden im Laufe des Jahres 2017 aus dem Unternehmen; Ersatz musste her. Zudem sollte der männliche Kollege (berechtigt oder nicht) von der ausscheidenden, dienstältesten Kollegin eingearbeitet werden, um künftig deren Funktion als "Leiter Bahntechnik" übernehmen zu können. Angesichts dieses drohenden Personaldefizits scheint es gerechtfertigt, dass der Arbeitgeber der Forderung des Bewerbers nachgegeben hat. Aber muss er dadurch auch künftigen Bewerber:innen von vornherein die höhere Vergütung anbieten, obwohl der Personalgewinnungsdruck durch die frühere Einstellung nachgelassen hat? So scheint es. Allerdings wird man auch hier die noch ausstehenden Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts abwarten müssen, um Arbeitgebern Handlungsempfehlungen für die Praxis geben zu können.

 

 
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