Ein Überblick – über die unseres Erachtens wichtigsten Urteile aus dem Jahr 2024
Ob Krankschreibungen nach einer Kündigung, die Vergütung von Überstunden oder postübliche Zustellungszeiten bei einer Kündigung oder die Vergütungspflicht bei Umkleidezeiten: Das Jahr 2024 hielt wieder einige spannende und praxisrelevante Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bereit. Im nachfolgenden Beitrag haben wir die wichtigsten Aspekte für Sie zusammengefasst.
Lohnfortzahlung trotz mehrfacher Krankmeldung innerhalb der Kündigungsfrist?
Nicht selten sehen sich Arbeitgeber nach einer Kündigung der Arbeitsunfähigkeit des ausscheidenden Arbeitnehmers gegenüber, der nun für die Dauer der Kündigungsfrist Entgeltfortzahlung verlangt.
Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG). Hierfür sieht das Gesetz die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Beweismittel vor, die seit dem 1. Januar 2023 bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern vom Arbeitgeber elektronisch angefordert werden muss (sog. eAUB). Dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist, wenn ein Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung "erkrankt" und die Bescheinigung passgenau die Kündigungsfrist abdeckt, ist seit der Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2023 hinlänglich bekannt. Doch mit seinem Urteil vom 18. September 2024 (Az. 5 AZR 29/24) geht das BAG noch einen Schritt weiter: Auch wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Kündigungsfrist nicht exakt abbildet, könne der Beweiswert hiernach erschüttert sein, z.B. wenn die Bescheinigung die Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie nicht einhält. Im konkreten Fall war der Beweiswert erschüttert, weil die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abweichend von § 5 Abs. 4 Satz 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie für mehr als zwei Wochen ausgestellt war.
Das BAG eröffnet also weitere Möglichkeiten, den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern, insbesondere nach Ausspruch einer Kündigung. Entscheidend ist für das BAG jedoch nach wie vor eine Gesamtschau aller Umstände, so dass es stets auf eine einzelfallbezogene Bewertung ankommt.
Überstundenvergütung von Teilzeitkräften
Die nächste höchstrichterliche Entscheidung lag im Spannungsverhältnis von Teilzeit und Überstundenvergütung. Bei Überstunden handelt es sich um Arbeitszeit, die über die vom Arbeitnehmer geschuldete regelmäßige Arbeitszeit hinaus geht. Wann Überstunden vorliegen, hängt daher davon ab, wie viele Arbeitsstunden ein Arbeitnehmer regulär zu erbringen hat – dies ist individuell unterschiedlich. Dem trug der Tarifvertrag der Pflegebranche in Hessen im vorliegenden Fall jedoch nicht ausreichend Rechnung. Denn hiernach sollten Überstunden erst dann vergütet werden, wenn die reguläre Arbeitszeit einer Vollzeitkraft überschritten wurde. In der Folge hätte eine in Teilzeit beschäftigte Pflegekraft für geleistete Überstunden erst dann einen Zuschlag oder eine Zeitgutschrift erhalten, wenn die Überstunden den Umfang der regulären Arbeitszeit einer Vollzeitkraft überschritten hätten.
Dem hat das BAG in seiner Entscheidung vom 5. Dezember 2024 (Az. 8 AZR 370/20) eine Absage erteilt. Tarifliche Regelungen, die Teilzeitbeschäftigte nur dann für Überstunden entschädigen, wenn diese die Arbeitszeit von Vollzeitkräften überschreiten, verstoßen gegen das Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Fehlen zudem sachliche Gründe für diese Ungleichbehandlung, liegt regelmäßig ein Verstoß gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vor, wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten – so wie in diesem Fall – erheblich mehr Frauen als Männer vertreten sind.
Diese Entscheidung wirkt sich jedoch nicht nur auf Tarifverträge aus. Auch Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge, die entsprechende Regelungen vorsehen, sind auf Grundlage der rechtlichen Würdigung des BAG wohl als unwirksam zu erachten und sollten daher u.U. angepasst werden.
Postübliche Zeiten bei der Zustellung durch die Deutsche Post
Nicht nur das „Ob“ einer wirksamen Kündigung kann Gegenstand eines Rechtsstreits sein, auch das „Wann“ einer solchen kann Fragen aufwerfen. In dem vom BAG entschiedenen Fall bestand zwischen den Parteien zwar Einigkeit darüber, dass die streitgegenständliche Kündigung am 30.09. von einem Zusteller der Deutschen Post in den Briefkasten eingeworfen wurde. Der genaue Zeitpunkt hingegen war strittig. Nach Auffassung des Klägers sei der Einwurf nicht zu den üblichen Postzustellungszeiten erfolgt, sodass erst am nächsten Tag mit einer Entnahme des Schreibens aus dem Briefkasten zu rechnen gewesen sei. Dann wäre auch die Kündigung erst am nächsten Tag wirksam zugestellt worden und das Arbeitsverhältnis hätte einen Monat länger bestanden.
Dem ist das BAG in seiner Entscheidung vom 20. Juni 2024 (Az. 2 AZR 213/23) nicht gefolgt. Es bestehe ein Anscheinsbeweis, dass der Einwurf in den Briefkasten zu den postüblichen Zustellungszeiten erfolgt sei und daher noch an diesem Tag gewöhnlicherweise die Möglichkeit zur Kenntnisnahme bestand. Der Anscheinsbeweis könne zwar erschüttert werden, indem atypische Umstände des Einzelfalles dargelegt werden. Solche Umstände wurden vorliegend jedoch nicht vorgebracht.
Das Urteil zeigt, dass Arbeitgeber bei Kündigungen sicherstellen sollten, dass das Schreiben nicht nur tatsächlich zugestellt wird, sondern auch, dass der Zeitpunkt der Zustellung möglichst genau dokumentiert wird. Die Zustellung von Kündigungen per Post, gleich ob als Einschreiben oder nicht, ist jedoch ohnehin nicht zu empfehlen, wie auch der vorliegende Fall wieder bestätigt. Um etwaige Rechtstreitigkeiten hinsichtlich des "Ob" und "Wann" der Zustellung zu vermeiden, sollte vielmehr ein Kurierdienst mit der Zustellung der Kündigungserklärung beauftragt werden.
Körperreinigungszeiten können vergütungspflichtige Arbeitszeit sein
Gehört der Weg vom Umkleideraum zum Arbeitsplatz und die Zeit zum Umkleiden und Duschen bereits zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit? Wie so oft kommt es auf den Einzelfall an. In der vorliegenden Fallkonstellation bestand die Tätigkeit des Arbeitnehmers darin, Container abzuschleifen und eine Nachlackierung aufzutragen. Dabei hatte er vom Arbeitgeber bereitgestellte Handschuhe, eine Schutzbrille und eine Atemmaske zu tragen.
Allgemein sind Körperreinigungszeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen, wenn sie mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängen und deshalb ausschließlich der Befriedigung fremder Bedürfnisse dienen. Dabei können öffentlich-rechtliche und arbeitsschutzrechtliche Vorschriften für die Abgrenzung und Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls Orientierungshilfen bieten. Das An- und Ablegen einer vom Arbeitgeber vorgeschriebenen Dienstkleidung fällt folglich unproblematisch unter Arbeitszeit. Gleiches gilt für die Wegezeit vom Umkleideraum zum Arbeitsplatz und wenn die Körperreinigung durch den Arbeitgeber ausdrücklich angeordnet wird oder zwingende Hygienevorschriften eine solche verlangen.
Körperreinigungszeiten gehören aber – wie im vorliegend vom BAG mit Urteil vom 23. April 2024 entschiedenen Fall – auch dann zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer bei seiner geschuldeten Arbeitsleistung so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Weg nach Hause ohne eine vorherige Reinigung des Körpers im Betrieb nicht zugemutet werden kann. Hierbei ist nach Art und Umfang der ausgeübten Tätigkeit sowie der getragenen Arbeitskleidung, dem mit der Arbeitsleistung verbundenen Ausmaß der Verschmutzung und der sich daraus ergebenden erforderlichen Art und Dauer der Körperreinigung zu differenzieren.
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Prof. Dr. Marion Bernhardt Rechtsanwältin | Partnerin |
Sven Groschischka Rechtsanwalt | Counsel |
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