Das Weiterbildungsgesetz als Instrument der beruflichen Transformation

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem Transformationsprozess. Digitalisierung, Dekarbonisierung, die Demografie und der Fachkräftemangel verändern den Arbeitsmarkt und das Tagesgeschäft der Unternehmen. Beschleunigt wird diese Entwicklung durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, die damit einhergehende Energiekrise und die verschärften Engpässe in der Lieferkette. Das Weiterbildungsgesetz soll sich als Baustein in ein tragfähiges Konzept zur Bewältigung dieses Wandels einbinden. Wie diese Transformation aussieht, was das Weiterbildungsgesetz hierzu beiträgt und welche Bedeutung es für die Praxis hat, erklären wir in diesem Beitrag.

Gründe für den Wandel

Eine starke treibende Kraft ist der demografische Wandel in Deutschland. In der Bundesrepublik fehlt es bereits jetzt an qualifizierten Fachkräften. So sind 352 von insgesamt 801 Berufsgattungen mit dem Fachkräftemangel konfrontiert. Deutschlandweit mangelt es aktuell an über einer halben Million Fachkräften, insbesondere in den Bereichen der Pflege, der Bauelektrik, der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, der Kraftfahrzeugtechnik und der IT. Dieses Problem wird sich durch den Renteneintritt der sogenannten Babyboomer-Generation noch verschärfen. Bis 2036 fallen knapp 30 Prozent der aktuellen Arbeitnehmenden weg. Wenn Deutschland keine Einwanderung zulassen würde, gäbe es ein Drittel weniger Erwerbstätige bis 2060.

Auch die angestrebte Digitalisierung trägt ihren Teil dazu bei, so arbeiten 20 Prozent der Beschäftigten in Berufen, in denen mehr als 70 Prozent der Tätigkeit durch Maschinen möglich ist. Der technische Fortschritt wird auch hier einige Stellen obsolet machen, gleichzeitig werden höhere Qualifikationsstufen benötigt. Das liegt auch an der angestrebten Klimaneutralität. So bedarf es beispielsweise einer gesonderten Qualifikation zum Einbau einer Wärmepumpe, verglichen mit einer Öl- oder Gasheizung.

Wer ist betroffen?

Den immer größeren Beschäftigungslücken für Fachkräfte stehen unter anderem Stellen- und Strukturabbau in bestimmten Regionen und Bereichen gegenüber. Dabei verändert die Transformation die Tätigkeitsprofile und Qualifikationsanforderungen an die Arbeitnehmer. Gleichwohl können jedes Jahr ungefähr 78.000 junge Menschen nach dem Schulabschluss nicht in eine Berufsausbildung vermittelt werden.

Wie muss die Transformation gestaltet werden?

Auf diese Gruppen konzentriert sich die Transformation. Die stetig steigenden Anforderungsprofile an die Belegschaft und die wachsenden Herausforderungen dürfen nicht erst dann angegangen werden, wenn die Stellen für niedrigqualifizierte Arbeitnehmer weggefallen sind oder der Mangel an Fachkräften das Unternehmen zur Aufgabe des Geschäfts zwingt. Daher braucht es eine kontinuierliche Weiterbildung der Belegschaft und die Unterstützung der Politik bevor die betroffenen Arbeitnehmer ihren Job verlieren. Hier wurden vom Bund bereits einige Gesetze beschlossen. Dazu gehören das Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung (Qualifizierungschancengesetz) und das Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung (Arbeit-von-Morgen-Gesetz). Der Gesetzgeber will ein anderes Verständnis für Weiterbildung schaffen. „Re-Skilling“ und „Up-Skilling“, also Fortbildung und Umschulung sollten als präventive Investition zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit betrachtet werden.

Das Weiterbildungsgesetz im Überblick

An dieser Stelle rückt das neue „Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung“, das sog. Weiterbildungsgesetz, in den Fokus. Es soll die Förderinstrumente für Beschäftigte und Auszubildende weiterentwickeln und der aktuellen Lage der Arbeitswelt begegnen. Ziel ist es, strukturwandelbedingte Arbeitslosigkeit zu vermeiden, Weiterbildung zu stärken und die Fachkräftebasis zu sichern. Außerdem soll mehr jungen Menschen eine Ausbildung vermittelt werden. Hierfür wird unter anderem die Beschäftigtenförderung des § 82 SGB III reformiert und vereinfacht. Daneben wird es ein Qualifizierungsgeld für besonders vom Transformationsprozess gefährdete Arbeitnehmende geben. Außerdem verankert das Gesetz eine Ausbildungsgarantie und verlängert die existierenden Erstattungen bei beruflicher Weiterbildung während Kurzarbeit. In vielen Bundesländern existieren bereits Weiterbildungsgesetze, wie etwa das Bildungsfreistellungsgesetz in Sachsen-Anhalt. Das vor Kurzem beschlossene Weiterbildungsgesetz wird hingegen bundesweit und damit einheitlich gelten.

Die Ausbildungsgarantie

Das Gesetz sieht eine sogenannte Ausbildungsgarantie vor. Die Bezeichnung ist etwas irreführend, Ausbildungssuchende erhalten keinen Rechtsanspruch auf den Erwerb einer beruflichen Qualifikation. Dies verbleibt in der primären Verantwortung der Wirtschaft. Allerdings soll den Ausbildungssuchenden mit bestehenden und verbesserten Angeboten signalisiert werden, dass sie bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz unterstützt werden. Dafür soll es einen Mobilitätszuschuss geben, um es angehenden Azubis leichter zu machen, auch entfernte Regionen zu erreichen. Außerdem sollen junge Menschen bei der Berufswahl unterstützt werden. Sie sollen durch ein Praktikum zur Berufsorientierung gefördert werden. Auch die Neuausrichtung bei einem abgebrochenen Studium oder nach einer abgebrochenen Berufsausbildung soll durch kurze betriebliche Praktika unterstützt werden. Bestenfalls soll dann noch im selben Jahr mit einer Ausbildung begonnen werden können. Nach Vorstellung des Gesetzgebers sollen den Suchenden so Optionen außerhalb des Tagespendelbereichs nähergebracht werden.

Auch die Möglichkeit der außerbetrieblichen Ausbildung wird in der Gesetzesbegründung angesprochen. Die Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen soll ergänzend dort eingesetzt werden, wo sie geboten ist, bleibt aber ausweislich der Gesetzesbegründung „Ultima Ratio“. Es soll sich also nur um einen Ausnahmefall handeln.

Einführung eines Qualifizierungsgeldes

Mit dem Qualifizierungsgeld will die Legislative eine Förderung für bisherige Weiterbildungsangebote einführen. Damit sollen insbesondere die Beschäftigten angesprochen werden, die ihren Arbeitsplatz durch die Transformation bedroht sehen, bei denen aber die Weiterbildung eine zukunftssichere Beschäftigung im gleichen Unternehmen ermöglichen kann. Unter den Begriff „Weiterbildung“ fallen berufliche Maßnahmen wie Lehrgänge, Umschulungen, Meisterkurse oder auch Sprachunterricht.

Hierfür wird in das SGB III der § 82a eingefügt. Auskünftig des Regierungsentwurfs wird es mehrere Voraussausetzungen für den Anspruch auf Qualifizierungsgeld geben. Dazu gehört ein strukturbedingter Qualifizierungsbedarf im Unternehmen, der je nach Unternehmensgröße 10 – 20 Prozent der Arbeitnehmer betreffen muss. Außerdem muss die Finanzierung der Maßnahme durch den Arbeitgeber erfolgen. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, erhalten die Beschäftigten während der Weiterbildung das Qualifizierungsgeld von der Bundesagentur für Arbeit. Die Weiterbildungsmaßnahme muss zwar vom Arbeitgeber gezahlt werden, dieser wird dafür aber bei der Entgeltzahlungspflicht entlastet. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass die Berechtigten bis maximal 3,5 Jahre Unterstützung erhalten sollen. Dabei ist die Höhe an das Kurzarbeitergeld angelehnt, Arbeitnehmer erhalten 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens der letzten 3 Monate vor Antragstellung. In einigen Fällen gibt es 67 Prozent, etwa wenn ein Anspruch auf Kindergeld besteht.

Kurzarbeit zur Weiterbildung nutzen

Im Jahr 2020 schaffte der Gesetzgeber mit dem Arbeit-von-Morgen-Gesetz Anreize dafür, das Kurzarbeitergeld für eine Weiterbildung zu nutzen. Arbeitgeber, die ihren Beschäftigten entsprechende Weiterbildungen anbieten, erhalten seitdem die während der Kurzarbeit von den Arbeitgebern zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge jeweils hälftig und darüber hinaus in Abhängigkeit von der jeweiligen Betriebsgröße die Lehrgangskosten ganz oder teilweise erstattet. Das Weiterbildungsgesetz sieht nun vor, diese Regelung bis zum 31. Juli 2024 zu verlängern.

Weiterbildungsförderung nach SGB III

In der Praxis mehrten sich Rufe nach einer einfacheren und übersichtlicheren Weiterbildungsförderung. Der Gesetzgeber reagiert nun darauf und beabsichtigt, mit festen Fördersätzen und weniger Förderkombinationen die Transparenz zu erhöhen und damit den Zugang für Arbeitgeber und Beschäftigte zu erleichtern. Die Fördervoraussetzungen werden allgemeiner gefasst. Nicht erforderlich ist die Betroffenheit der Tätigkeit vom Strukturwandel oder eine Weiterbildung in einem Engpassberuf. Die Regelung der Fördersätze erfolgt ohne Auswahlermessen. Sie werden grundsätzlich in der Höhe der Arbeitsentgeltzuschüsse und Zuschüsse zu den Lehrgangskosten pauschaliert.

Vorerst kein Recht auf bezahlte Bildungszeit

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kündigte im September des letzten Jahres eine Bildungszeit nach österreichischem Vorbild an. Beschäftigte sollten demnach die Möglichkeit erhalten, sich zukünftig ein Jahr lang bezahlt weiterbilden zu können. Die entsprechende Regelung ist jedoch für das Erste nicht Teil des neuen Gesetzes. Die Bildungszeit soll stattdessen zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt werden.

Kritik aus dem Bundesrat

Der Bundesrat nahm am 08.06.2023 Stellung zum Weiterbildungsgesetz. Die Stellungnahme beinhaltete insbesondere Kritik am Mindestumfang von 120 Stunden für Weiterbildungsmaßnahmen. Der Bundesrat störte sich außerdem daran, dass ein Unternehmen oder Betrieb für die Förderung von Maßnahmen durch das Qualifizierungsgeld einen Tarifvertrag oder eine entsprechende Betriebsvereinbarung vorweisen muss. Dies würde zu einer überwiegenden Inanspruchnahme des Qualifizierungsgelds durch große Unternehmen führen. Daher solle der Mindestumfang auf 80 Stunden reduziert und das Erfordernis von Tarifverträgen bzw. Betriebsvereinbarungen gestrichen werden.

Die Bundesregierung entgegnete darauf, dass ein Mindestumfang von 120 Stunden zwingend erforderlich sei, um eine substanzielle fachliche Kompetenzvermittlung, die über rein betriebliche Anpassungsqualifizierungen hinausgeht, zu gewährleisten. Die Mindestdauer diene weiterhin der Abgrenzung zur betrieblichen Weiterbildung. Das Erfordernis des Bestands eines Tarifvertrags bzw. einer Betriebsvereinbarung begründet die Regierung mit einer gerechten Verantwortungsverteilung zwischen Arbeitnehmer und Beschäftigten. So solle die Förderung denjenigen Betrieben zugutekommen, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen gemeinsam Verantwortung für den Weg durch den Strukturwandel übernehmen. Geringere Anforderungen als eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag sieht das Gesetz nur für Betriebe mit weniger als 10 Arbeitnehmenden vor.

Das Weiterbildungsgesetz wurde vom Bundestag am 23. Juni 2023 verabschiedet. Der Bundestag hat den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf mit nur geringfügigen Änderungen, ansonsten unverändert angenommen. Das Gesetz wurde noch nicht verkündet. Bereits ab Juli 2023 – am Tag nach der Verkündung – sollen die ersten Änderungen (Erstattungen von beruflichen Weiterbildungskosten während Kurzarbeit) in Kraft treten. Die weiteren Änderungen werden dann ab dem Jahr 2024 gestaffelt über mehrere Monate hinweg in Kraft treten.

 

 

Dr. Anja Naumann, LL.M.

Rechtsanwältin

Sven Groschischka

Rechtsanwalt

 

 

 

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