Das neue Lieferkettengesetz aus arbeitsrechtlicher Sicht

Am 27. Mai hat sich die Große Koalition auf Änderungen des Regierungsentwurfs für das Lieferkettengesetz geeinigt. Damit ist nun der Weg frei für eine Abstimmung und Verabschiedung des Gesetzes noch vor der Sommerpause. Wir stellen wichtige Regelungen des Gesetzentwurfs vor – mit besonderem Augenmerk auf arbeitsrechtliche Themen.

 

Inkrafttreten und betroffene Unternehmen

Falls das Lieferkettengesetz kommt, wird es planmäßig zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Es gilt dann für deutsche Unternehmen mit mindestens 3.000 Arbeitnehmern*. Ab dem 1. Januar 2024 sinkt diese Schwelle auf 1.000 Arbeitnehmer. Nach den jüngsten Verhandlungen sollen außerdem ausländische Unternehmen erfasst sein, wenn sie eine inländische Zweigniederlassung mit 3.000 bzw. 1.000 Arbeitnehmern haben.

Maßgeblich für die Berechnung der Arbeitnehmerzahl ist jeweils die Anzahl der im Inland beschäftigten Arbeitnehmer des Unternehmens oder der Zweigniederlassung. Dazu zählen die ins Ausland entsandten Arbeitnehmer. Leiharbeitnehmer sind im Entleihunternehmen zu berücksichtigen, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt. Bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl der Konzernobergesellschaft sind die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer der anderen konzernangehörigen Gesellschaften hinzuzurechnen.

Mittelbar sind aber auch kleinere Unternehmen betroffen, weil die vom Gesetz erfassten Großunternehmen ihnen die Sorgfaltspflichten des Lieferkettengesetzes vertraglich auferlegen werden.

Unternehmerische Verantwortung für die Arbeitsbedingungen in den Lieferketten

Die Sorgfaltspflichten besagen im Kern, dass Unternehmen sich bemühen müssen, die Risiken für Menschenrechtsverletzungen und bestimmte Umweltschäden in ihren Lieferketten zu minimieren. Sie sind insbesondere verpflichtet, diese Risiken bei ihren unmittelbaren Zulieferern (den eigenen Vertragspartnern) regelmäßig zu analysieren – bei den mittelbaren Zulieferern hingegen nur dann, wenn Anlass dazu besteht.

Einen Schwerpunkt der Risikoanalyse bilden die Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern; sie sind auf die Einhaltung fairer Standards zu überprüfen. Konkret geht es etwa um Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit sowie die Gewährleistung gewerkschaftlicher Organisation. Sollten Unternehmen Verstöße feststellen, sind sie gesetzlich verpflichtet, gegenüber ihren Zulieferern Präventions- bzw. Abhilfemaßnahmen zu ergreifen.

Schulungsbedarf der Mitarbeiter wird steigen

Das Lieferkettengesetz wirkt sich in den Unternehmen vor allem in den Bereichen Compliance und Einkauf aus. Die Compliance-Verantwortlichen stehen jetzt vor der Aufgabe, die neuen Anforderungen durch konkrete Maßnahmen umzusetzen und, um den Aufwand gering zu halten, möglichst mit bereits bestehenden Compliance-Strukturen im Unternehmen zu verknüpfen, etwa mit der Prüfung von Geschäftspartnern und der Geldwäsche- und Korruptionsprävention. Beteiligen müssen sich daran insbesondere die Mitarbeiter im Einkauf, denn sie stehen in unmittelbarem Kontakt mit Zulieferern und wissen daher am besten, wo genau hingeschaut werden muss.

Dabei ist es unerlässlich, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter in diesen Prozess einbinden, für den gesamten Bereich Corporate Social Responsibility sensibilisieren und im Rahmen von Schulungen konkrete Umsetzungsmaßnahmen an die Hand geben.

Das Lieferkettengesetz hat Auswirkungen auf die Unternehmenskultur und die Außendarstellung

Darüber hinaus wird das Lieferkettengesetz aber auch die gesamte Unternehmenskultur nachhaltig beeinflussen. In vielen Unternehmen nehmen Themen wie Nachhaltigkeit und Diversity schon heute einen hohen Stellenwert ein und prägen das unternehmerische Selbstverständnis. Mit dem Lieferkettengesetz rücken nun hoch brisante Fragen wie faire Arbeitsbedingungen, die Einhaltung von Menschenrechten und der Schutz der Umwelt in den Fokus.

Auch für Verbraucher, Geschäftskunden und Investoren spielen nachhaltiges Wirtschaften und soziale Verantwortung eine immer größere Rolle. Daher ist die Einhaltung der neuen Sorgfaltspflichten nicht nur aus rechtlichen Gründen zu empfehlen, sondern auch zur Stärkung und Erhaltung der eigenen Reputation. So betrachtet ist das Lieferkettengesetz eine Chance, sich einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten.

Betätigungsfeld für Gewerkschaften

Der Entwurf des Lieferkettengesetzes sieht vor, dass eine Gewerkschaft oder eine Nichtregierungsorganisation (NGO) den Schadensersatzprozess gegen ein Unternehmen führen kann, wenn beispielsweise der Arbeitnehmer eines Zulieferers durch eine Menschenrechtsverletzung einen Gesundheitsschaden erlitten hat und die Gewerkschaft oder NGO entsprechend ermächtigt hat. Die Gewerkschaft oder NGO kann dann gerichtlich im eigenen Namen die Ansprüche des Betroffenen geltend machen. Es handelt sich dabei um eine besondere Form der sogenannten Prozessstandschaft. Die Vorschrift soll den Betroffenen helfen, die Durchsetzung ihrer Rechte zu erleichtern. Zugleich bietet sie den Gewerkschaften und NGOs die Chance, das Interesse der Medien auf sich und die eigenen Ziele zu lenken. Allerdings wird das deutsche Lieferkettengesetz nach aktuellem Stand eine zivilrechtliche Haftung für die Nichtbeachtung der Sorgfaltspflichten ausdrücklich ausschließen. Damit kommt eine Prozessführung durch Gewerkschaften oder NGOs vorerst nur in Frage, wenn der Betroffene Ansprüche geltend macht, die auf andere Rechtsgrundlagen als das Lieferkettengesetz gestützt sind, insbesondere auf ausländisches Recht. Das wird sich ändern, sobald die geplante EU-Richtlinie umgesetzt ist (siehe unten)

Darüber hinaus wird das Lieferkettengesetz den Aktivitäten der Gewerkschaften im Zusammenhang mit Supply Chain Compliance zusätzlichen Auftrieb geben. Schon vor dem Gesetzgebungsverfahren hatten sich Arbeitnehmervertretungen gemeinsam mit weiteren Interessenverbänden für eine umfassende Regulierung der unternehmerischen Verantwortung entlang globaler Lieferketten stark gemacht. Die Themen Menschenrechte, faire Arbeitsbedingungen, Gesundheits- und Umweltstandards stehen bei vielen Gewerkschaften derzeit also ganz oben auf der Agenda. Einige haben bereits angekündigt, sich weiter in diesem Bereich zu engagieren und insbesondere in den Betrieben auf die Einhaltung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu drängen.

Sorgfaltspflichten auch Bestandteil der Mitbestimmung

Dem Vernehmen nach haben sich die Koalitionsfraktionen im Zusammenhang mit dem Lieferkettengesetz auch auf eine Änderung im Betriebsverfassungsrecht verständigt: In Zukunft sollen auch die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsausschusses gehören. Zum Hintergrund: Ein Wirtschaftsausschuss ist in Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern zu bilden. Er hat die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu informieren (§ 106 BetrVG).

Geplante EU-Richtlinie geht erheblich weiter

Auch auf europäischer Ebene sollen unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten eingeführt werden. Der vom Europäischen Parlament vorgelegte Entwurf einer Richtlinie geht erheblich weiter als das deutsche Lieferkettengesetz. Beispielsweise wird die EU-Richtlinie nach aktuellem Stand auch für bestimmte kleine und mittelgroße Unternehmen und auch für ausländische Unternehmen gelten, wenn sie auf dem Binnenmarkt tätig sind. Die Sorgfaltspflichten werden sich zusätzlich insbesondere auf Korruptionsrisiken erstrecken. Im Gegensatz zum ausdrücklichen Haftungsausschluss nach dem deutschen Lieferkettengesetz (siehe oben), sieht die Richtlinie eine unbegrenzte zivilrechtliche Haftung für die Nichtbeachtung der Sorgfaltspflichten vor. Dabei wird das Verschulden vermutet, d.h. das beklagte Unternehmen trägt die Beweislast dafür, dass es im konkreten Fall seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist. Der deutsche Gesetzgeber muss daher die Regeln des Lieferkettengesetzes mittelfristig womöglich nachschärfen.

 

*Gemeint sind Arbeitnehmer jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

 

 

Dr. Anja Schöder, LL.M.
Rechtsanwältin

Dr. Christoph Schröder
Rechtsanwalt

 

 

 

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