Auswirkungen der Transformation - Studie bagatellisiert regionale Strukturrisiken
Interview mit Prof. Dr. Werner Olle, Direktoriumsmitglied Chemnitz Automotive Institute (CATI) und Rico Chmelik, Geschäftsführer des automotive thüringen e.V.
Eine im Oktober 2021 vorgelegte Studie im Auftrag des BMWi hat für Wirbel und einigen Widerspruch gesorgt. Ziel der Studie war es, die Relevanz der Automobilwirtschaft in den einzelnen Regionen Deutschlands und die regionale Betroffenheit durch Auswirkungen der Transformation zu untersuchen. Standorte in den ostdeutschen Bundesländern spielen im Ergebnis eine nur untergeordnete Rolle.
Dr. Jens Katzek, Geschäftsführer des ACOD hat sich darüber mit Prof. Dr. Werner Olle, Direktoriumsmitglied des Chemnitz Automotive Institute (CATI) und mit Rico Chmelik, dem Geschäftsführer des automotive thüringen e.V., unterhalten. Zwei Experten, die sich die Zahlen einmal näher angeschaut haben.
Herr Prof. Olle, wenn man sich so anschaut, wieviel Mühe sich das Institut der deutschen Wirtschaft (IW Consult) und das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO mit der Erhebung von Daten für diese Studie gemacht hat, dann wirkt es zunächst erstaunlich, ja übertrieben, wenn Sie von „einem gefährlichen Irrweg“ sprechen.
Ich bleibe dennoch dabei. Nicht erst seit dem Braunkohleausstieg wissen wir, dass Strukturwandel immer auch auf regionaler Ebene stattfindet. Von daher ist die zentrale Aufgabenstellung der Studie von außerordentlich hoher Bedeutung, denn sie geht weiter als die gängige Betrachtung, bei der Produktbereiche mit Bestandsrisiken solchen mit Zukunftsperspektiven gegenübergestellt werden. Entscheidend ist jedoch, wie im Detail die regionale Betroffenheit ermittelt wird! Und hier sehen wir in der Methodik der Studie gravierende Defizite.
Der zentrale Faktor für die Bewertung einer Region ist in der Studie eine sogenannte „Wesentlichkeitsschwelle“. Diese Abgrenzungssystematik bedeutet: Nur wenn der Anteil der im Bereich der Automobilwirtschaft Beschäftigten im Vergleich zur Gesamtbeschäftigung hoch (oder niedrig) ist, sprechen die Autoren von einer strukturprägenden Bedeutung (oder aber eben der geringen Relevanz) der Automobilwirtschaft für die jeweilige Region. Diese Vorgehensweise greift unseres Erachtens deutlich zu kurz.
Können Sie dies an Beispielen erläutern?
Mit diesem Abgrenzungskriterium werden in der Studie zunächst die 118 Regionen ermittelt, in denen der Automobilwirtschaft eine überdurchschnittliche Bedeutung zukommt. Da hierbei nicht die absolute Zahl der Automobilbeschäftigten zählt, sondern nur ihr prozentualer Anteil an der Gesamtbeschäftigung ist das „Autoland Sachsen“ gerade mal mit 4 Regionen in dieser Top-Liste vertreten. Leipzig als unbestritten bedeutender Automobilstandort mit den Werken von BMW und Porsche sowie einer ganzen Reihe von Zulieferunternehmen hat es dabei nur auf Platz 99 geschafft, punktgleich mit dem thüringischen Landkreis Schmalkalden-Meiningen. Auf der anderen Seite ist es dem Standort Chemnitz nicht einmal gelungen, diese „Wesentlichkeitsschwelle“ zu überspringen.
Aber reicht diese in der Tat überraschende Wiedergabe der Realität aus, um von einem „gefährlichen Irrweg“ bei der Bewertung von Risiken des Strukturwandels für einzelne Regionen zu sprechen. Welche weiteren Argumente kommen aus Ihrer Sicht hinzu?
In einem weiteren Analyseschritt werden in der Studie insgesamt 40 „besonders vom Strukturwandel betroffene Regionen“ ermittelt. Dabei werden sinnvollerweise insbesondere Regionen in den Blick genommen, in denen die regionale Automobilwirtschaft noch stark auf konventionelle Antriebstechnologien fokussiert ist. Aber auch hier zählt nur als Betroffenheit, wenn die Beschäftigtenzahl im konventionellen Antriebsbereich in Relation zur Gesamtbeschäftigung in der jeweiligen Region überdurchschnittlich hoch ist. Folge dieses Bewertungskriteriums ist, dass Regionen durch das Betroffenheitsraster fallen wie z.B. Standorte mit bekannt hoher Präsenz des Antriebsbereichs wie z.B. Westthüringen oder Chemnitz. Letztendlich werden Beschäftigungsrisiken im Antriebsbereich in diesen und anderen betroffenen Regionen wegnivelliert mit dem statistischen Verweis auf die Gesamtbeschäftigung einer Region. Wir halten dies für eine Bagatellisierung von regionalen Strukturrisiken.
Herr Chmelik, wenn Sie sich Thüringen anschauen: Wie kommt dieses Bundesland in der Studie weg und warum sind Sie so verärgert?
Ich bin in der Tat über die Ergebnisse der Studie mehr als erstaunt und bezüglich der behaupteten Auswirkungen auf die Automobilindustrie in Thüringen auch ein Stück weit verärgert, da diese an der Thüringer Realität vorbeigehen. In Thüringen gehört es sozusagen zum strukturpolitischen Allgemeinwissen, dass insbesondere die Region Westthüringen von den Risiken des automobilen Strukturwandels betroffen ist, da hier der Produktbereich Antrieb besonders ausgeprägt vorhanden sind. Dies sind keine theoretischen Risiken mehr, sondern seit 2 Jahren auch bittere Realität wie die Beispiele von Insolvenzen und Beschäftigungsreduzierungen dokumentieren.
Stattdessen werden in der Studie als besonders betroffene Regionen der Landkreis Sömmerda (Standort eines Motorenwerks von Daimler) und der Landkreis Sonneberg genannt, in denen zusammen etwa 15 % der Beschäftigten in der Thüringer Automobilzulieferindustrie tätig sind. Naheliegende Schlussfolgerung: in der Fläche ist die Bewältigung des automobilen Strukturwandels kein Problem.
Als Vertreter eines Automobil-Netzwerks, der in der ganzen Region unterwegs ist und täglich Gespräche mit Unternehmern führt, kann ich nur sagen: Thüringen ist anders. Ärgerlich ist auch, dass es zwar Gespräche mit den Autoren der Studie gab und wir auch Daten geliefert haben (übrigens kostenfrei) – wir aber scheinbar nicht mit unseren Argumenten durchdringen konnten, weil man die Grundmethodik der Studie nicht in Frage stellen wollte, auf die man sich einmal eingeschossen hat.
Wie sieht es denn mit den Zukunftsprognosen für Thüringen aus, Herr Chmelik? Finden zumindest diese in der Studie ausreichend Beachtung?
Auch hier ein klares Nein. Zwar wird in der Studie auf die geplante Batteriezellfertigung von CATL am Erfurter Kreuz verwiesen (die im Übrigen in 2022 mit der Fertigung beginnt) und an irgendeiner Stelle versteckt auch auf den Standort Suhl und die dortige Produktionsstätte von Paragon für Sensoren und Elektronikprodukte - das war’s dann aber schon. Auch hier kann ich nur sagen: Dies geht an der Thüringer Realität vorbei.
Im Bereich der Elektromobilität entwickelt sich gerade ein neuer Wertschöpfungskern, zu dem nicht nur die Batteriezellfertigung von CATL, sondern auch die Hochvolt-Kompetenz von Bosch, die Neuansiedlung von Marquardt im Bereich Batteriemanagement und Leistungsumfänge von NIDEC im Bereich Thermomanagement gehören.
In den Bereichen Automatisierung/ Vernetzung gehört Thüringen zu den wenigen Regionen in Deutschland, die überregional anerkannte und nachgefragte Kompetenzen in Optik/ Photonik aufweisen kann, die für diese Zukunftsfelder immer bedeutungsvoller werden. Hinzu kommen renommierte Hersteller von Halbleitern und Sensoren, die in jedem Auto vertreten sind. Diese Unternehmen sind in hohem Maße in den urbanen Regionen in und um Erfurt und Jena vertreten – zwei Regionen, die die Studie nicht zur Kenntnis nimmt.
Aus unserer Sicht verfügen zudem auch weitere Produktbereiche über gute Zukunftsperspektiven. Hierzu gehört etwa das „Interieur der Zukunft“. Und auch hier hat Thüringen renommierte und leistungsfähige Anbieter von dafür erforderlichen Materialien und Oberflächen bis hin zu neuen Funktionalitäten.
Standorte in den ostdeutschen Bundesländern spielen in der Studie überwiegend eine nur untergeordnete Rolle. Wie schätzen Sie, Herr Prof. Olle, das ein?
Ich möchte zunächst noch den dritten Analyseschritt der Studie erwähnen, da dieser für die Antwort ein weiteres Argument liefert. In der Studie werden auch die 34 Regionen herausgestellt, die in automobilen Zukunftsfeldern (Elektrifizierung, Automatisierung, Vernetzung) besonders gut aufgestellt sind. Maßstab ist erneut die genannte „Wesentlichkeitsschwelle“. In diese Top-Liste schafft es von allen ostdeutschen Standorten lediglich der Landkreis Bautzen durch die Batteriefertigung in Kamenz. Wie es möglich ist, dass ein Fahrzeugwerk wie das Werk Zwickau mit seiner ausschließlichen Fertigung von voll-elektrischen Fahrzeugen oder Dresden mit seinen Top-Unternehmen im Halbleiter-Bereich, keinerlei Erwähnung findet, bleibt ein Geheimnis der Autoren.
Bis hierher lautet die Botschaft der Studie daher: Ostdeutsche Standorte zählen kaum zu den automobilen Top-Regionen. Sind kaum vom automobilen Strukturwandel betroffen und auch in den automobilen Zukunftsfeldern so gut wie nicht vertreten. Irgendwie das alte Lied von den verlängerten Werkbänken im Osten, mit dem nicht die automobile Leistungsfähigkeit und Attraktivität erklärt werden kann, die in dieser Region über Jahre entstanden ist und diese zu einem Top-Player bei der Elektromobilität in Europa machen wird.
Lediglich verbal wird an mehreren Stellen darauf verwiesen, dass sich für ostdeutsche Standorte die Präsenz in Zukunftsfeldern in naher Zukunft durch entsprechende Neuinvestitionen, insbesondere bei der Fertigung von Batteriezellen positiv entwickeln könnte.
Wenn Sie, Herr Chmelik, sich die Ergebnisse der Studie und Ihre Bedenken anschauen: Wie sollte man Ihres Erachtens denn sinnvoller vorgehen, wenn es um die Frage der Unterstützung von, durch die Transformation der Automobilwirtschaft, betroffenen Regionen geht?
Der Strukturwandel in der Automobilwirtschaft führt, da sind sich alle Experten einig, zu einer Umverteilung von Wertschöpfung, die sich in einzelnen Produktbereichen, wie z.B. dem Antriebsbereich, verringern wird - in anderen Produktbereichen, wie z.B. der Elektrik/ Elektronik oder dem Interieur aber eben auch erhöhen wird.
In Abhängigkeit von den jeweiligen Unternehmensstandorten führt dies auch zu regional unterschiedlichen Betroffenheiten.
Von daher halten wir es für essentiell, dass in Analysen zum automobilen Strukturwandel diese Verknüpfung von sektoralen und regionalen Umgewichtungen im Detail untersucht wird. Wir haben dies gemeinsam mit dem CATI für Thüringen untersucht und für jeden Landkreis die Beschäftigtenzahlen in den 5 Produktbereichen Fahrwerk, Karosse, Antrieb, Interieur, Elektrik/ Elektronik auf Basis von unternehmensbezogenen Daten ermittelt.
Ein solches Strukturprofil der einzelnen relevanten und aussagefähigen Region muss die Basis sein, um mögliche Risiken vor Ort abzuwägen. Da die Unternehmen eines Produktbereichs zudem Abweichungen im Produktportfolio und in ihrer jeweiligen Unternehmensstrategie aufweisen, sind Gespräche mit den Betroffenen unverzichtbar, um ausreichend Bodenhaftung bei ermittelten Trendaussagen zu gewährleisten.
Herr Chmelik, Herr Prof. Olle – haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.
Bildnachweis: © Chemnitz Automotive Institute (CATI), automotive thüringen e.V.