Annahmeverzugslohn – Wie das Risiko des Arbeitgebers minimiert werden kann

Es ist – neben der Unwirksamkeit der Kündigung – das größte Risiko von Arbeitgebern während eines Kündigungsschutzprozesses: der Anspruch auf Annahmeverzugslohn. Werden Mitarbeitende nach Ausspruch einer Kündigung freigestellt, obwohl sie ihre Arbeitsleistung anbieten, und stellt sich dann nach Monaten oder sogar Jahren heraus, dass die Kündigung unwirksam war, hat der/die Mitarbeitende grundsätzlich Anspruch auf die Vergütung nicht nur für die Dauer der Kündigungsfrist, sondern für die gesamte Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts (sog. Annahmeverzugslohn). Das Landesarbeitgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 30.09.2022 – 6 Sa 280/22) hat nun aufgezeigt, dass Arbeitgeber deren Risiken auf Zahlung von Annahmeverzugslohn nach einem Kündigungsschutzrechtsstreit wirksam begrenzen können.

Arbeitgeberrisiko Annahmeverzugslohn

Auch in Zeiten des Fachkräftemangels kommt es vor, dass Unternehmen Kündigungen gegenüber Mitarbeitenden aussprechen müssen. In der Praxis folgt auf nahezu jede Kündigung – unabhängig von dem Kündigungsgrund – eine Kündigungsschutzklage. Trotz des vor den Arbeitsgerichten anwendbaren Beschleunigungsgrundsatzes vergehen meist mehrere Monate, über die Instanzen mitunter sogar mehrere Jahre, bis eine Entscheidung ergeht. Während dieser Zeit steht dem/der gekündigten Mitarbeitenden regelmäßig ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn zu. Zwar sieht das Gesetz vor, dass Mitarbeitende sich auf den Annahmeverzugslohn anrechnen lassen müssen, was sie durch anderweitige Arbeit verdient haben oder hätten verdienen können, wenn sie es nicht böswillig unterlassen hätten, eine ihnen zumutbare Arbeit anzunehmen (§ 615 S. 2 BGB, § 11 Nr. 2 KSchG). Dies soll insbesondere sicherstellen, dass gekündigte Mitarbeitende nicht untätig den unter Umständen jahrelangen Prozess abwarten und sodann einen übermäßig hohen Lohnanspruch geltend machen. In der Praxis spielte diese Anrechnung bisher allerdings eine eher geringe Rolle, denn der Nachweis, dass der/die Mitarbeitende zumutbare Arbeit böswillig unterlassen hat, obliegt grundsätzlich dem Arbeitgeber. Dieser hat jedoch regelmäßig keine Kenntnis über Bewerbungen der Mitarbeitenden oder Einzelheiten über potenzielle Tätigkeiten. Diese Problematik hat nun die aktuelle Rechtsprechung aufgegriffen.

Auskunftsanspruch des Arbeitgebers zur Minimierung des Risikos

Schon 2020 entschied das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19), dass Mitarbeitende, die die Zahlung von Annahmeverzugslohn fordern, verpflichtet sind, ihrem Arbeitgeber Auskunft über Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit sowie des Jobcenters – unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort sowie Vergütung – zu erteilen. Dies sei eine Nebenpflicht zum Arbeitsverhältnis nach Treu und Glauben und hat seine Bewandtnis darin, dass dem Arbeitgeber regelmäßig nur bei Kenntnis dieser Umstände überhaupt die Möglichkeit offensteht, Indizien vorzutragen, welche auf eine böswillige Unterlassung eines anderweitigen zumutbaren Erwerbes des/der Mitarbeitenden hindeuten. Hieran anschließend obliegt es sodann dem/der Mitarbeitenden im Rahmen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast die vorgetragenen Indizien zu entkräften und zu erklären, aus welchem Grund es nicht zu einer anderweitigen Beschäftigung gekommen ist bzw. warum eine solche dem Arbeitnehmer nicht zumutbar war. Diese Entscheidung hat das LAG in dem hiesigen Urteil aufgenommen, am konkreten Einzelfall angewandt sowie erste Maßstäbe bei der Beurteilung gesetzt.

Böswilliges Unterlassen zumutbarer Arbeit kann zur Reduzierung des Annahmeverzugslohnes auf Null führen

Obgleich das LAG Berlin-Brandenburg den Anspruch des Mitarbeitenden auf Annahmeverzugslohn dem Grunde nach anerkannt hatte, so reduzierte es ihn letztlich der Höhe nach auf Null. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem böswilligen Unterlassen zumutbarer Arbeit durch den Mitarbeitenden. Sowohl § 11 Nr. 2 KSchG als auch § 615 S. 2 BGB stellen darauf ab, ob den Mitarbeitenden unter Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben sowie des Grundrechtes auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG die Aufnahme einer anderen Arbeit zumutbar ist. Maßgeblich sind jedoch stets die Einzelfallumstände. Eine Unzumutbarkeit kann ihren Grund insbesondere in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Auch begründet das Verhalten des Arbeitgebers bei früheren Kündigungen keinen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass er sich nicht auf § 11 Nr. 2 KSchG berufen wird, da eine solche Entscheidung von vielerlei Faktoren abhängt, wie insbesondere der Einschätzung des Arbeitgebers zu den möglichen Erwerbschancen des/der jeweiligen Mitarbeitenden.

Vorliegend hat der klagende Mitarbeitende den bestehenden Auskunftsanspruch des Arbeitgebers nach Ansicht des LAG ausreichend erfüllt. Jedoch ergab sich aufgrund der daraus resultierenden neuen Informationslage, dass der Arbeitgeber mehrere Indizien dafür anführen konnte, dass dem Mitarbeitenden ein böswilliges Unterlassen zumutbaren anderen Erwerbs entgegenzuhalten ist, welche der Mitarbeitende wiederum nicht entkräften konnte.

Zum einen ergab ein Abgleich der Bewerbungen mit den Vermittlungsvorschlägen, dass sich der Mitarbeitende nur auf drei der insgesamt mindestens 23 erteilten Vermittlungsvorschläge beworben hatte. Weiterhin hatte der Mitarbeitende auch mit keinen anderen geeigneten potenziellen Arbeitgebern Kontakt aufgenommen. Letzteres ergab sich insbesondere daraus, dass der Mitarbeitende keine Angaben zu dem konkret erzielbaren Verdienst hatte tätigen können. Darüber hinaus ergab sich aus den vorgelegten Unterlagen, dass der Mitarbeitende oftmals nicht erreichbar gewesen ist oder aber fehlende Dokumente nicht übermittelt hat. Ein solches Verhalten entspricht einem sorgfältig geführten Bewerbungsprozess nach Ansicht des LAG nicht. Auch der Vortrag des Mitarbeitenden, dass er auf mehrere Bewerbungen keine Absage erhalten habe, vermag das vom Arbeitgeber vorgetragene Indiz für ein böswilliges Unterlassen nicht zu entkräften. Das erkennende Gericht ging zutreffend davon aus, dass ein ernsthaft an der Beschäftigung interessierter Bewerber den Sachstand erfragt hätte.

Ebenso die Anzahl sowie die Qualität der Bewerbungsbemühungen des Mitarbeitenden stellte im vorliegenden Fall ein Indiz für böswilliges Unterlassen dar. Zum einem versandte der Mitarbeitende in rund 29 Monaten lediglich 103 Bewerbungen, was rechnerisch nicht einmal einer Bewerbung pro Woche entspricht. In Gesamtschau mit der Tatsache, dass der Mitarbeitende während des gesamten Zeitraums ohne Arbeit war, vertrat das LAG die Ansicht, dass der Mitarbeitende im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle hätte Bewerbungsbemühungen entfalten können und müssen. Zum anderen war die Qualität der Bewerbungen mangelhaft. Das LAG kam deshalb zu dem Schluss, dass erhebliche Indizien für ein böswilliges Unterlassen des klagenden Mitarbeitenden vorliegen, welche dieser nicht hinreichend entkräftete.

Handlungsmöglichkeiten für Arbeitgeber

Die aktuelle Rechtsprechung eröffnet Arbeitgebern eine weitere Möglichkeit, sich gegen einen Annahmeverzugslohnanspruch im Nachgang eines Kündigungsschutzverfahrens zu wehren. Obgleich ein Großteil der Geltendmachung von Annahmeverzugslohn durch Mitarbeitende wohl weiterhin regelmäßig in einem Vergleich enden werden, so bestehen auch Fälle, in denen ein Vergleich schlicht nicht zustande kommt. In allen anderen Fällen verbessert die genannte Entscheidung zumindest die Verhandlungsposition des Arbeitgebers. Denn das Urteil zeigt, dass Mitarbeitende Kündigungsschutzprozesse nicht schlicht untätig abwarten können, um im Nachgang hohe Annahmeverzugslohnsummen zu erhalten. Gleichermaßen wird deutlich, dass es seitens der Mitarbeitenden nicht ausreicht, halbherzige Bewerbungsbemühungen zu unternehmen.

 

 

Dr. Anja Naumann, LL.M.

Rechtsanwältin

Sven Groschischka

Rechtsanwalt

 

 

 

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