Anahmeverzugslohn – Das Damokles-Schwert des Kündigungsschutzverfahrens (?)

Das Arbeitsgericht Gera hat in einer aktuellen Entscheidung festgestellt, dass dem Arbeitgeber der Anspruch auf Auskunft zu erzieltem Zwischenverdienst des Arbeitnehmers auch dann zusteht, wenn der Arbeitnehmer noch keinen Annahmeverzugslohn geltend gemacht hat. Wir ordnen die Entscheidung für Sie ein.

Entscheidung des ArbG Gera (Urt. v. 24.04.2024 – 3 Ca 1106/23)

Das Arbeitsgericht Gera hatte in seiner Entscheidung aus dem April über eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers zu befinden. Während der Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsschutzklage durchdringen konnte, wurde dem Arbeitgeber gleichzeitig ein Auskunftsanspruch hinsichtlich getätigter Erwerbsbemühungen des Arbeitnehmers zugestanden. Das Arbeitsgericht positionierte sich daher in der bisher nicht geklärten Frage, ob der Auskunftsanspruch erst mit Geltendmachung des Annahmeverzugslohns besteht oder bereits zu einem anderen Zeitpunkt erhoben werden kann.

Annahmeverzugslohn nach Kündigung und anrechenbarer Erwerb

Erweist sich eine arbeitgeberseitige Kündigung im Nachhinein als unwirksam, droht dem Arbeitgeber die Nachzahlung der zwischenzeitlich angefallenen Vergütung. Der Arbeitnehmer ist seinerseits jedoch nicht zur Nachleistung verpflichtet. Durch das Festhalten an der Kündigung gerät der Arbeitgeber in Verzug, da er den Arbeitnehmer – u.U. im Rahmen eines Prozessarbeitsverhältnisses – hätte weiter beschäftigen können bzw. müssen. In langwierigen Kündigungsschutzverfahren schwebt der Annahmeverzugslohn daher wie ein Damokles-Schwert über dem Arbeitgeber und führt nicht selten zu einem Vergleich mit hohen Abfindungs- und/oder Annahmeverzugslohnzahlungen.

Auf den Annahmeverzugslohn muss sich der Arbeitnehmer jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat oder verdient hätte, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine zumutbare Arbeitsstelle anzunehmen. Böswillig handelt der Arbeitnehmer, wenn er eine ihm bekannte Möglichkeit der Erwerbstätigkeit nicht wahrgenommen hat. Allerdings trifft den Arbeitnehmer hierbei nach der bisher wohl überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung keine Pflicht zur Eigeninitiative. Hiernach ist ein Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet, die gängigen Stellenprotale zu durchsuchen oder sich fortwährend zu bewerben.

Insoweit bleibt jedoch die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten. Denn das Bundesarbeitsgericht hat jüngst in mehreren Entscheidungen zumindest angedeutet, dass die sozialrechtlichen Verpflichtungen des Arbeitnehmers während des Zeitraums der Arbeitslosigkeit auch bei der Prüfung des böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs zu berücksichtigen seien. Hierzu zählt nach § 2 Abs. 5 Nr. 2 SGB III auch die Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Suche nach einer Beschäftigung. Inwiefern hieraus künftig gefolgert werden kann, dass ein Arbeitnehmer zur Aufrechterhaltung eines Anspruchs auf Annahmeverzugslohn zumindest verpflichtet ist, regelmäßig das Jobportal der Bundesagentur für Arbeit durchzusehen und sich auf dort aufgeführte zumutbare Stellen zu bewerben, muss noch von der Rechtsprechung geklärt werden.

Auskunftsanspruch des Arbeitgebers

Dem Arbeitgeber wird es mangels Kenntnismöglichkeiten regelmäßig schwerfallen, zu den Bemühungen des Arbeitnehmers um eine andere Arbeitsstelle oder zur Höhe des erzielten Erwerbs vorzutragen. Dem half das Bundesarbeitsgericht in einer viel beachteten Entscheidung im Jahr 2020 teilweise ab (BAG, Urt. v. 27.05.2020 – 5 AZR 387/19). Danach kann der Arbeitgeber Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit bzw. des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung verlangen. Dieser Auskunftsanspruch wird seither von einer Reihe instanzgerichtlicher Entscheidungen weiter ausgeformt.

Auch das Arbeitsgericht Gera bezieht nun Stellung und entschied, dass der Arbeitgeber den Auskunftsanspruch bereits geltend machen könne, bevor er sich konkreten Forderungen nach Annahmeverzugsvergütung ausgesetzt sieht. Da der Vergütungsanspruch mit dem Vorliegen der Voraussetzungen für den Annahmeverzug geltend gemacht werden kann, müsse es auch dem Arbeitgeber möglich sein, Einwendungen vorzubringen. Damit stellt sich das Arbeitsgericht Gera deutlich gegen die von anderen erst- und zweitinstanzlichen Gerichten vertretene Auffassung, wonach der Auskunftsanspruch erst erhoben werden könne, wenn der Arbeitnehmer seinerseits den Annahmeverzugslohn einklagt.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil des Arbeitsgerichts Gera stärkt die Chancen von Arbeitgebern, dem Automatismus von unwirksamer Kündigung gleich Annahmeverzugslohn etwas entgegensetzen zu können. Es bleibt aber abzuwarten, ob diese Rechtsauffassung durch höhere Instanzen bestätigt wird und inwiefern in der Rechtsprechung die sozialrechtlichen Ausprägungen noch mehr Berücksichtigung finden.

Da ein Arbeitnehmer sich aber grundsätzlich nur auf Stellen bewerben muss, die ihm konkret bekannt sind, ist es am Arbeitgeber, diese Kenntnis herbeizuführen. Hierzu sollten dem Arbeitnehmer regelmäßig geeignete Stellenausschreibungen übermittelt werden. Hierdurch lässt sich das Annahmeverzugslohnrisiko effektiv mindern. Denn (nur), wenn ein Arbeitnehmer positive, nachweisbare Kenntnis von zumutbaren Arbeitsmöglichkeiten hat, muss er sich im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast hierzu erklären, um einen etwaigen Anspruch auf Annahmeverzugslohn aufrechterhalten zu können. Dann muss der Arbeitnehmer zu den diesbezüglichen Bewerbungsversuchen konkret vortragen oder auch darlegen, aus welchen Gründen er von einer Bewerbung abgesehen hat.

 

 
Prof. Dr. Marion Bernhardt
Rechtsanwältin | Partnerin
 

 

Dr. Ulrich Becker
Rechtsanwalt I Partner
 

 

 

Sven Groschischka
Rechtsanwalt | Counsel

 
 

 

 

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